Frage an Filiz Polat von Karl-Heinz W. bezüglich Gesundheit
Kann es sein, dass die derzeitige Hektik darauf zurückzuführen ist, dass versäumt wurde, Risikopatienten im Rahmen der jährlichen Grippeschutzimpfungen auch konsequent eine Pneumokokkenimpfung anzubieten? Habe gerade im Gespräch erfahren müssen, dass die Handlungsweise hier in Bad Essen unterschiedlich war. Ich habe eine solche Empfehlung nicht erhalten und meine Ehefrau (Diabetes!) ebenfalls nicht. Mein Nachbar gleichen Alters (anderer Hausarzt) wurde da wohl besser beraten. Als meine Frau sich jetzt bei Ihrer Hausarztpraxis (seit Jahrzehnten) danach erkundigte erhielt sie die lapidare Auskunft, dass kein Impfstoff zu bekommen sei. Wurde hier mal wieder am falschen Ende gespart? Herzliche Grüße aus Bad Essen
Sehr geehrter Herr Woita,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage.
Die Probleme unseres Gesundheitssystems sind nicht erst seit der Corona-Krise sichtbar und doch hat die Pandemie dafür gesorgt, dass wir bestimmte Defizite besser sehen, zum Beispiel bei Schutzmasken und -ausrüstung oder bei lebenswichtigen Medikamenten und Impfstoffen. Denn die Produktionen dieser Güter sind mittlerweile hauptsächlich in Drittstaaten wie China oder Indien angesiedelt. Die EU muss auch medizinisch souveräner werden. Dafür müssen alle Lieferketten auf den Prüfstand, um, wo nötig, die Produktion nach Europa zurückzuholen und den Import auf weitere Länder auszudehnen. Neben der Liefersicherheit soll eine gesteigerte Wirkstoffproduktion in der EU auch zu mehr Qualität führen.
Im Zusammenhang mit Lieferengpässen wird zwar immer wieder davon gesprochen, dass die Arzneimittel-Versorgung in Deutschland grundsätzlich sichergestellt sei. Es ist auch korrekt, dass nicht jeder Lieferengpass gleich ein Versorgungsengpass ist. Doch um die Arzneimittelversorgung flächendeckend und nachhaltig sicherzustellen, müssen auch Lieferengpässe, die per Definition nicht als Versorgungsengpässe gelten, als relevant für die Patientinnen und Patienten erachtet werden. Auch bei nicht lieferbaren Darreichungsformen sind daher wirksame Maßnahmen nötig. Solche Engpässe wiegen schwer für chronisch kranke Patientinnen und Patienten. Die Betroffenen sind häufig auf eine ganz bestimmte Darreichung angewiesen, weil sie nur diese anwenden oder vertragen können. Dann wird auch ein für die Versorgung scheinbar nicht relevanter Lieferengpass zu einem relevanten existenziellen Problem für eine Patientin oder einen Patienten.
Der Problematik liegen sehr unterschiedliche und zum Teil komplexe Ursachen zugrunde. Lieferengpässe sind kein allein deutsches Phänomen, sondern lassen sich weltweit beobachten. Globale Lieferketten, Monopolstrukturen, also Produktionsverlagerungen auf wenige Standorte, Rohstoffengpässe in der Produktion und auch Qualitätsmängel können genauso ursächlich sein wie Marktaustritte oder Produktionseinstellungen als Folge gezielter Unternehmensstrategien. Um den vielschichtigen Ursachen begegnen zu können, brauchen wir ein ganzes Maßnahmenbündel, welches gezielt bei den jeweiligen Problemen ansetzt.
Genauso wichtig, wie das Ergründen der unterschiedlichen Ursachen und das Finden geeigneter Maßnahmen, um Engpässe zukünftig zu vermeiden, ist die Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Sie fängt zwischen den unterschiedlichen Gesundheitsakteuren im deutschen Gesundheitswesen an und sollte – über die nationalen Grenzen hinweg – auch innereuropäisch fortgeführt werden. Formate wie der beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte angesiedelte „Jour Fixe Lieferengpässe“ oder geplante Diskussionsformate während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 sind deshalb zu befürworten.
Qualitätskontrollen in Produktionsstätten können innerhalb der EU unter Koordination der Europäischen Arzneimittelagentur vermehrt durchgeführt werden. Jens Spahn muss in dieser Ratspräsidentschaft eine Gesundheitsunion auf den Weg bringen, statt wieder unsolidarische und brandgefährliche Exportverbote zu verhängen. Die EU braucht dafür mehr Kompetenzen im Gesundheitsbereich.
Mit freundlichen Grüßen
Filiz Polat