Frage an Felix Schreiner von Julius-Peter L. bezüglich Bundestag
Sehr geehrter Herr Schreiner,
Per Gesetz sollte der Bundestag 598 Mitglieder umfassen - aktuell sind es 709, das sind knapp 20% über dem Soll. Immer wieder wird dieses Thema angeprangert. Die aktuelle Grösse des Bundestags ist weder ein Qualitätsgewinn für die Arbeit des Bundestages noch ist es eine spürbarer Gewinn für die Bürgerinnen und Bürger in Bezug auf besser vertreten zu sein. Es ist in erster Linie ein nicht unerheblicher Kostenfaktor und vorallem ist ein erhebliches logistisches Problem nahezu 20% mehr an Personen infrastrukturell im Parlamentsapparat unterzubringen . Warum setzen Sie sich nicht entschieden innerhalb der SPD dafür ein, dass diese zwingende Korrektur vor den anstehenden Wahlen behandelt und im Sinne der geltenden Regelung eine Veränderung erfährt?
Mit freundlichem Gruss
Julius-Peter Langer
Murg-Niederhof
Sehr geehrter Herr Langer,
haben Sie vielen Dank für Ihr Schreiben bezüglich der Größe des Deutschen Bundestages.
Nicht zuletzt führt die veränderte Parteienlandschaft tendenziell zu größeren Anteilen an Ausgleichsmandaten. Es besteht innerhalb aller Fraktionen ein Reformwille. Uneinigkeit besteht jedoch darin, wie diese Wahlrechtsreform konkret umgesetzt und realisiert werden kann. Die verschiedenen Vorschläge der Opposition sahen eine massive Reduzierung der Direktmandate vor. Für die CDU stellt dies jedoch nicht die beste Lösung dar. Denn die Wahlkreise sind in der Fläche bereits jetzt sehr groß. Betrachtet man den Wahlkreis Waldshut-Hochschwarzwald, den ich seit 2017 als direkt gewählter Abgeordneter betreue, wird dies offensichtlich. Schließlich erstreckt sich dieser von der schweizerischen Grenze bis hin in das Freiburger Umland im Hochschwarzwald und umfasst 50 Gemeinden. Die Betreuung flächenmäßig noch größerer Wahlkreise würde die Arbeit der Parlamentarier nochmals erschweren. Auch ich bin daher der festen Überzeugung, dass das Problem in der ausufernden Anzahl an Ausgleichsmandaten liegt. Ein weiteres Argument gegen die massive Reduzierung der Wahlkreise ist, dass nur die Erststimme die direkte Wahl durch die Bevölkerung darstellt. Würden wir eine Reform auf den Weg bringen, wie sie von Grünen, FDP, Linken und in Teilen auch der SPD gewollt ist, hieße das, dass mehr Abgeordnete über Listen in den Bundestag einziehen würden. Die Folge wäre, dass sich die Abgeordneten mehr auf Partei- als auch Bürgerveranstaltungen aufhielten, um sich einen guten Listenplatz über die Landesliste für die nächste Wahl zu sichern. Um es klar zu sagen: Dies widerspricht meiner Auffassung der politischen Arbeit. Ich möchte vor Ort bei den Menschen unterwegs sein und erfahren, wo der Schuh drückt und als direkt gewählter Abgeordneter aus dem Wahlkreis heraus in Berlin wirken.
Natürlich ist uns als Unionsfraktion bewusst, dass wir eine Wahlrechtsreform einleiten müssen. Der Koalitionsausschuss hat sich bereits im letzten Sommer auf Drängen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf einen gemeinsamen Entwurf zur Wahlrechtsreform geeinigt. Einige Maßnahmen werden schon für die nächste Bundestagswahl greifen. Die Reform setzt an drei Stellschrauben an: Erstens, die Anzahl der Wahlkreise wird von derzeit 299 auf 280 reduziert, zweitens, Überhangmandate werden künftig teilweise mit Listenmandaten in anderen Ländern verrechnet und drittens, bis zu drei Überhangmandate werden ausgleichslos bleiben. Diese Maßnahmen zusammen führen dazu, dass ein weiteres Anwachsen der Größe des Bundestages verhindert werden kann. Danach wären mit dem Wahlergebnis von 2017 sechzig Abgeordnete weniger, also statt 709 nur 649 Abgeordnete im Deutschen Bundestag vertreten. Die Wahlreform wird in zwei Stufen vollzogen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion war bereit, eine Reduzierung der Anzahl der Wahlkreise bereits für die nächste Bundestagswahl 2021 umzusetzen, um die Größe des nächsten Deutschen Bundestages wirksam zu begrenzen. Dem hätten weder rechtliche noch praktische Gründe entgegengestanden, wie diverse Staats- und Verfassungsrechtler sowie der Bundeswahlleiter bestätigt haben. Der Kompromiss sieht nun vor, dass die Reduzierung der Wahlkreise erst zur übernächsten Bundestagswahl, aller Voraussicht nach 2025, erfolgt. Die gesamte Wahlrechtsreform auf diese Zeit zu verschieben, war für uns keine tragbare Alternative.
Durch die Verringerung der Anzahl der Wahlkreise wird auch die Anzahl der Überhangmandate reduziert. Denn weniger Überhangmandate reduzieren den Ausgleichsbedarf zugunsten anderer Parteien. Durch die von uns vorgeschlagene moderate Reduzierung der Wahlkreise von 299 Wahlkreisen auf 280 Wahlkreise bleibt die für die demokratische Willensbildung notwendige Nähe der Wählerinnen und Wähler zu ihrem direkt gewählten Vertreter erhalten. Diese Verbindung und die Repräsentanz durch die unmittelbar im Wahlkreis gewählten Abgeordneten ist uns besonders wichtig.
Darüber hinaus wird der sogenannte „erste Zuteilungsschritt“, der die Mindestsitzkontingente in den Ländern garantiert, modifiziert und damit eine teilweise Verrechnung von Überhangmandaten einer Partei mit Listenmandaten dieser Partei in anderen Ländern ermöglicht. Auch das reduziert den Ausgleichsbedarf. Da diese faktische Verrechnung nur teilweise erfolgen soll, wird ein „Leerlaufen“ ganzer Landeslisten ausgeschlossen und damit eine föderal ausgewogene Verteilung auch innerhalb der Parteien noch gewahrt. Eine vollständige Abschaffung garantierter Mindestsitzkontingente kam für uns auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht in Betracht. Denn der „erste Zuteilungsschritt“ wurde als Reaktion auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eingeführt, um das Entstehen von negativem Stimmgewicht - also, dass eine Partei trotz mehr Stimmen weniger Sitze oder trotz weniger Stimmen mehr Sitze erhält - zu verhindern.
Ausgleichslose Überhangmandate sind ein weiteres wirksames Mittel, um den Ausgleichsbedarf zu reduzieren. Das ist auch verfassungsgemäß: Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 25. Juli 2012 ausdrücklich festgestellt, dass die mit der ausgleichslosen Zuteilung von Überhangmandaten verbundene Differenzierung des Erfolgswertes - also eine Beeinflussung der proportionalen Sitzverteilung auf der Grundlage des Ergebnisses der Zweitstimmen - durch das besondere Anliegen einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl gerechtfertigt werden kann. Das Bundesverfassungsgericht sieht selbst bei ausgleichslosen Überhangmandaten im Umfang einer halben Fraktionsstärke keine Verzerrung des Zweitstimmenproporzes, sondern lediglich eine durch die Bedeutung der Direktmandate zu rechtfertigende Beeinträchtigung.
Für mich ist klar: Eine Wahlrechtsreform ist unabdingbar. Ein immer größer werdendes Parlament ist nicht gewinnbringend und kostet darüber hinaus zu viel Geld. Es gilt hier nun anzusetzen und damit einhergehend die Mandatszahl nachhaltig auf einem konstanten Niveau zu halten. Dies ernsthaft zu lancieren, gebietet die Ehrlichkeit sowie die Erwartungshaltung hierzu seitens der Bürgerinnen und Bürger. Bei allen Abwägungen muss garantiert sein, dass die Wahlkreise nach wie vor das entscheidende Kriterium sein müssen. Keinesfalls dürfen aufgrund einer Reform so große Wahlkreise entstehen, dass der Kontakt zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und den Abgeordneten erschwert werden würde.
Herzliche Grüße,
Felix Schreiner