Wie stehen Sie zu dem sog. Nordischen Modell zur Abschaffung der Prostitution?
Sehr geehter Herr Martin,
Prostitution wird unter den Grünen kontrovers diskutiert.
Der Verfechter*innen des Nordischen Modells sehen darin ausschließlich Sex, der überwiegend von Osteuropäerinnen unter dem Zwang von Zuhältern an frauenverachtende Männer verkauft wird. Das Nordische Modell würde die Nachfrage nach gekauftem Sex erheblich reduzieren.
Viele andere sehen Rotlichtkriminalität als einen eher geringen Teil des gesamten Prostitutionsgeschehens an, in dem überwiegend selbstbestimmte Menschen die verschiedensten Arten sexueller Dienstleistungen verkaufen von Sex bis zur Tantramassage. Gegner*innen des Nordischen Modells befürchten, dass dieses mehr Schaden als Nutzen bringen würde.
Wie ist Ihre Meinung zu dieser Thematik?
Mit freundlichen Grüßen
Mara H.
Liebe Frau Huscke,
vielen Dank für Ihre Frage.
Ich hatte vor wenigen Wochen die Gelegenheit mich mit einer Sexarbeiterin über die Frage des nordischen Modells auszutauschen. Es handelt sich um eine hoch komplexe und vielschichtige Debatte in der wir sehr genau auf die Realitäten in der Branche schauen müssen, denn Prostitution verschwindet nicht, bloß weil man das beschließt.
Sowohl die Lebenssituation als auch die Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter*innen sind vielfältig und unterschiedlich. Sexuelle Dienstleitungen anzubieten, ist oft die freie Entscheidung der entsprechenden Person, so auch bei der Sexarbeiterin mit der ich sprechen konnte. Und Selbstbestimmung heißt, auch diese Entscheidung zu akzeptieren. Zur Realität gehört aber leider auch, dass es in der Prostitution auch Menschenhandel, Gewalt und äußerst schwierige Arbeitsbedingungen gibt.
Nach meiner Auffassung bedarf es auf allen Ebenen: Mehr Schutz für Prostituierte und Unterstützung beim Ausstieg, Verbesserung der Beratungsangebote und Stärkung der aufsuchenden Sozialarbeit, keine Stigmatisierung von Sexarbeiter*innen sowie Stärkung ihrer Rechte und eine bessere Gesundheitsversorgung. Darüber hinaus müssen die Lebens- und Arbeitsbedingungen für Menschen, die in der Prostitution arbeiten, verbessert werden. Das gilt ganz besonders für Menschen mit aufenthaltsrechtlichen Problemen und ohne Krankenversicherung. Daher halte ich umfangreiche und niedrigschwellige Beratungsangebote für wichtig. Diese müssen auch Alternativen zur Tätigkeit in der Prostitution beinhalten.
Ein wichtiges Instrument des regelmäßigen Informationsaustausches auf regionaler Ebene ist der Runde Tisch Menschenhandel. Auch Hessen hat einen solchen Runden Tisch eingerichtet. Hier treffen sich Expert*innen mit Ministerien, Verbänden und dem Landeskriminalamt. Die Mitglieder des Runden Tisches erarbeiteten Lösungskonzepte und bringen sie als Multiplikator*innen mit voran. Mehr zum Runden Tisch Menschenhandel finden Sie hier: www.familienatlas.de/zusammenleben/krisen-und-gewalt/bekaempfung-des-menschenhandels
Ein Verbot von Prostitution halte ich nicht für zielführend. Studien zu den Auswirkungen der gesetzlichen Regelungen in Schweden und anderen nordischen Ländern sind umstritten, mehrdeutig und von begrenzter Aussagekraft. So ist von schwierigeren Bedingungen für die Prostituierten auszugehen, von mehr Illegalität, mehr Ausbeutung und Gewalt oder Gesundheitsgefährdung. Meine Bundestagskollegin Ulle Schauws sagte zu diesem Thema: „Prostitution verschwindet nicht durch das Nordische Modell. Je größer die Unsichtbarkeit wird, desto gefährlicher und gewalttätiger wird die Arbeit der Prostituierten." Diese Einschätzung teile ich.
Ich würde mich sehr freuen auch Ihre Einschätzung zu diesem komplexen Sachverhalt zu bekommen. Gern können Sie mich über f.martin@ltg.hessen.de kontaktieren.
Beste Grüße
Felix Martin