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Felix Bosseler
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Frage von Thomas H. •

Frage an Felix Bosseler von Thomas H. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Sehr geehrter Herr Bosseler,

die Piratenpartei hat ihr Wahlprogramm ja ziemlich ausgeweitet. Wir bringen Sie das mit ihren Kernkompetenzen in Einklang? Man hört im Moment nur Bildung, Bildung, Bildung. Was ist mit Themen wie Acta, Elena und JmStV? Sind das nicht die Sachen die Sie viel mehr
in den Vordergrund stellen müssen?

Grüße

T.Heidemeier

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Antwort von
PIRATEN

Sehr geehrte Herr Heidemeier,

die Frage wird auch innerhalb der Piratenpartei heftig diskutiert. Wollen wir weitere Themenfelder besetzen oder bleiben wir bei unseren Kernthemen Patente, Urheberrecht, Transparenz, Überwachung, Open Access, Zensur, Bürgerrechte und Demokratie?

Ich fühle mich da selber etwas zwiespältig. Daher erlauben Sie mir bitte etwas auszuholen.

Ich bin der Meinung, dass die Zeit der Volksparteien vorbei ist. Die SPD merkt das gerade und die CDU wird es noch merken. Beispiel Bundestagwahl 2009 - Wahlbeteiligung 70,78 %

Ergebnis:
CDU 27,30
SPD 23,00
FDP 14,60
DIE LINKE 11,90
GRÜNE 10,70
CSU 6,50
PIRATEN 2,00
Nichtwähler sind egal

Tatsächlich müsste man aber nicht, wie es offiziell gemacht wird, von der Anzahl der abgegeben Stimmen ausgehen. Viele Menschen gehen bewusst nicht zur Wahl. Andere machen bewusst Ihre Stimmzettel ungültig. Die Gründe sind vielfältig. Ich nehme es oft genug als "ändert sich ja eh nix, egal wer da regiert" war. Aber bleiben wir bei der "Volkspartei". Berücksichtigt man alle Wahlberechtigten und nicht nur die Menschen, die an die Urne gegangen sind dann sieht das Ergebnis der Bundestagwahl 2009 so aus:

CDU 19,03
SPD 16,07
FDP 10,16
DIE LINKE 8,29
GRÜNE 7,47
CSU 4,55
PIRATEN 1,36
Nichtwähler 29,22

(Zahlen: bundestagswahl2009.de und eigene Berechnungen)

Volkspartei mit unter 20 % Zustimmung in der Bevölkerung? Der Anteil der Nichtwähler liegt bei 29,22 %. Unsere Regierung (CDU/CSU/FDP) wurde mit 33,74 % der Wahlberechtigten ins Amt gehoben. Dieser Trend sieht seit Jahren so aus.

Was will ich damit sagen? Wär die Volkspartei ein Mobilfunkunternehmen, dann gäbe es dort auch Brötchen und Schuhe minderer Qualität. Telefonieren würde nur 6 Wochen vor einer Wahl wirklich gut funktionieren. Die sog. Volksparteien können von allem etwas, aber nur wenig wirklich richtig. Trotzdem erklären sie uns gern die Welt. In allen Fragen.

Beispiel: Im Sommer 2009 kommen Ulla Schmidt (SPD), Gesundheitsministerin und Brigitte Zypries (SPD), Justizministerin nach Aachen. Man hat eine Podiumsdiskussion zum Thema Netzpolitik angesetzt. Ich kann nicht beurteilen was Frau Schmitz von Gesundheits- oder Netzpolitik versteht. Aber wer mal bei Youtube nach Zypries und Browser sucht versteht evtl. das ich da Zweifel an deren Netzkompetenz hatte. Allein die beiden darüber öffentlich diskutieren zu lassen zu wollen... *facepalm*.

Und die Piratenpartei? Niemand bestreitet ernsthaft unsere Kompetenz in den Kernthemen. Daher auch immer die hilfslosen Versuche uns wenigstens als eine Ein-Themen-Partei darzustellen. Auf unseren Themenfeldern sind wir für die Mitbewerber kaum zu stellen. Die Kompetenz wird uns, wenn dann kein Micro oder Kamera in der Nähe ist, auch oft und gern bestätigt. Wir reden von Dingen wo wir Bescheid wissen. Das müssen wir uns erhalten.

Ich denke die Art wie in Deutschland, in Europa Politik gemacht wird hat sich überlebt. Unsere Gesellschaft ist extrem arbeitsteilig. Selbst in kleinsten Unternehmen gibt es Spezialisierung und Koordination. Das spiegelt sich aber in der Politik nicht wieder. Dort wursteln die Dinosaurier die Ihr Handwerk im letzten Jahrhundert gelernt haben herum. Groß, dick, unbeweglich und mit Strategien aus der Vergangenheit. Arbeitsteilig innerhalb der Parteien? Da kann jeder alles. Ja, ja.

Wir brauchen spezialisierte Parteien oder Wählergruppen (keine Lobbygruppen). Wir brauchen breite, einfache und zeitnahe Mitbestimmung. Alle vier, fünf Jahre seine Stimme abgeben (im Sinne des Wortes) ist vorbei. Die Zeiten ändern sich zu schnell. Wenn ich heute eine große Partei wähle habe ich einen bunten Strauß mit ein paar "tollen Sachen" und ganz vielen "dicken Kröten". Wir brauchen auch andere Wahlverfahren. Andere Beteiligungsmodelle. Warum soll ich nicht aus mehreren Themenfeldern die wirklich richtig guten Leute zusammenstellen können?

Utopie. Langwierig. Nicht umsetzbar. Traumtänzer. Mag sein. Aber so wie es heute läuft brauchen wir eigentlich keine Wahlen mehr. Das wird bereits mit den Füßen entschieden. Die Menschen bleiben Zuhause. Ich sehe Akzente aber keine echten Fortschritt. Hat jemand wirklich einen Unterschied zwischen Schwarz-Gelb, Rot-Grün oder Schwarz-Rot bemerkt? So richtig? Also jetzt in ganz echt?

Jedenfalls wünsche ich mir das die Piratenpartei sehr, sehr vorsichtig beim Themenausbau bleibt. Und ich denke mit unserem Wahlprogramm haben wir das auch ganz gut gemeistert. Die Kernthemen stehen bei uns immer noch ganz oben. Auch wenn die neueren Themen wie z. B. Verbraucherschutz oder die Ausweitung des Bildungsprogramms da mehr im öffentlichen Focus stehen. Sie sind halt neu. Aber sie haben auch einen direkten Bezug zu unseren Kernthemen. Beispiel: Ein gebildeter und informierter Mensch lässt sich schwer in die Irre leiten und ist ein Pfeiler für den Erhalt von Bürgerrechten und Demokraties.

Übrigens, wenn wir 2014 15 der 29,22 % Nichtwähler überzeugen könnten, dann wären wir glatt auch ne Volkspartei, oweia. :-)

Ich hoffe ich habe nicht zu weit ausgeholt ;)

Freundliche Grüße,

Felix Bosseler