Frage an Farid Müller von Stefan S. bezüglich Raumordnung, Bau- und Wohnungswesen
Sehr geehrter Herr Müller,
bitte korriegieren sie mich wenn ich falsch liege aber war die Politik nicht mal dafür gedacht die Interessen der Bürger zu vertreten? Wie kann es denn sein das ich mindestens einmal die Woche neue Plakate oder Demos gegen die Umstrukturierung, den Kommerz oder den Mietwucher sehe. Ich komme aus eine Stadtteil(St.Pauli/Altona),der gerade für seinen nicht modernen Flair bekannt wurde.Trotzdem muss ich vermehrt feststellen das z.B Schulterblatt /Sternschanze jeden Tag ein bisschen moderner ist. Wieso merken die Politiker das nicht und stoppen die Modernisierung? Die Politiker denken sie helfen uns Bürgern damit aber wenn sie sich Schulterblatt mal angucken sehen sie das das nicht so ist. Es gibt immer weniger Leute die Lust haben sich dort hinzusetzen und einfach diese Umgebung genießen und immer wieder sieht man Protestaufkleber oder eingeschlagene Scheiben gegen diese modernen Häuser die übrigens auch die Mieten steigen lassen und die Leute aus ihrem geliebten Stadtteil vertreiben.
Aus diesen Gründen verliere ich den Glauben an die Politik. Wenn ich mich irre, was passieren kann, (ich bin 16) entschuldige ich mich bei Ihnen.
Auf eine Antwort würde ich mich freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Sousa
Lieber Stefan,
Zunächst hoffe ich, dass es OK ist, wenn ich Dich duze. Vielen Dank für Deine Email, die mich sehr nachdenklich gemacht hat. Es wäre sehr schade, wenn Du, trotz Deines jungen Alters, den Glauben an politische Gestaltungsmöglichkeiten verlierst.
Deshalb möchte ich zunächst etwas zu Deiner Grundüberlegung sagen, ob viele Plakate, Demos und andere Meinungsäußerungen etwas damit zu tun haben, dass Politik die Interessen der Bürger vertritt. Ich glaube nämlich nicht, dass das eine mit dem anderen zwangsläufig zu tun hat. Vor allem, weil es "die" Politik ebenso wenig gibt wie "die" Deutschen oder "den" Hamburger. Schon die Vielfalt der hier auf abgeordnetenwatch wiedergegebenen Meinungen belegt das. Ich glaube, dass es eher umgekehrt ist: Je mehr Freiräume politisch geschaffen werden, um so mehr Meinungsäußerungen gibt es auch. Und das ist gut so.
Übrigens gibt es auch nicht "die" Bürger. Sonst wäre es sehr leicht, deren Interessen zu vertreten.
Du hast ja recht: Es gibt viel Protest gegen die Wandlungen in St. Pauli, der Schanze und anderswo. Viele dieser Proteste sind berechtigt. Ich will versuchen zu erklären, warum ich das so sehe:
Wir Grüne wollen attraktive, lebenswerte Innenstädte. Für uns zählt ein Miteinander von Wohnen, Arbeiten, von Kitas und Büros, von Kleingewerbe und Einzelhandel. Die Umwandlungsprozesse wie auf der Schanze schaffen zunächst teurere Läden, dann höhere Wohnungspreise und schließlich eine Monokultur aus Ketten und einer sehr einheitlichen Sozialstruktur. Das widerspricht unserem Ziel vielfältiger, sozial reicher Stadtteile.
Dort, wo die Umwandlungsprozesse die Vielfalt bedrohen, sehen wir sie deswegen mit Sorge und werden dagegen aktiv. Für St. Pauli haben wir z. B. eine Umwandlungsverordnung und eine Erhaltenssatzung auf den Weg gebracht. In St. Georg rund um die Lange Reihe fordern wir eine solche Satzung schon lange. Leider haben wir dafür in den letzten Jahren keine Mehrheit gefunden. Hätten wir uns politisch damit durchgesetzt, wäre das Lädensterben an der Langen Reihe nicht so gekommen, wie es sich heute darstellt.
Politik ist also immer auch eine Frage der Mehrheit. Über das Schicksal der Schanze hatten wir leider nicht zu befinden. Da wir aber seit einem Jahr mitmischen, setzen wir uns dort, wo aktuell Entscheidungen zu treffen sind, für Maßnahmen gegen die Verdrängung ein. Die Erhaltenssatzung für St. Pauli habe ich erwähnt. Ein anderes Beispiel ist das real-Markt-Gelände. Hier setzen wir uns gegen Schicki-Micki und für bodenständige Konzepte ein. Und wir denken noch einen Schritt weiter. In Hamm und Borgfelde überlegen wir bereits jetzt, welche Bereiche zukünftig von Verdrängungsprozessen betroffen sein könnten und wie wir ihnen vorbeugen.
Eines möchte ich aber auch klar sagen: Prozesse lassen sich nicht auf Knopfdruck beenden. Die Zeiten, in denen Herrschende alleine die Richtung bestimmten, sind - zum Glück - lange vergangen. Heute entscheiden wir alle mehr oder weniger mit - dadurch, dass wir aktiv werden oder dadurch, dass wir schweigen. Aber aus meiner persönlichen Erfahrung weiß ich, dass es sich immer lohnt, sich zu engagieren und sich einzusetzen - auch wenn man niemals das erreicht, was man genau hätte erreichen wollen. Und deswegen hoffe ich sehr, dass Du Dich für Deinen, wie Du schreibst, geliebten Stadtteil weiter engagieren magst.
Viele Grüße
Farid Müller
PS: Wenn Du möchtest, besuch mich doch in einem meiner Rathaus-Kaffeetreffs oder komm mal in das Rathaus - gerne auch mit Deiner Klasse. Die Emailadresse lautet BueroFarid.Mueller [at] gal-fraktion.de, Infos findest Du unter http://www.farid-mueller.de
PPS: Für Meinungen muss sich niemand entschuldigen :-)