Frage an Eva Jähnigen von A. E. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Jähnigen,
im Zuge einer eventuell anstehenden Neuwahl unserer „Volksvertreter“, eröffnen Sie mir die Möglichkeit, direkt auf diesen Weg mit Ihnen zu kommunizieren.
Seit langem bewegt mich die Frage, ob die pluralistische These einer Demokratietheorie zur Beteiligung elitärer Verbände/Parteien an der politischen Macht überhaupt noch in unsere Zeit passt oder man nicht vernünftigere Konzepte für die künftige Führung dieses Landes braucht. Eine Führung, die nicht nur mit sich selbst beschäftigt ist und mit ihrer Darstellungskunst beim Wähler den Anschein eines „Komödiantenstaat`ls“ erweckt.
Ich vermisse in Ihren Programmen die Abschaffung des Parteiensystems, also die Schaffung neuer Strukturen, die mit wirklich kompetenten, unabhängigen Persönlichkeiten aus allen Bereichen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens unser Land aus der derzeitigen Schieflage führen werden. Ich erhoffe mir auch, dass damit eine schon lange überfällige „Entfilzung“ des Staates möglich werden könnte.
Vergleicht man die einzelnen Programminhalte aller Parteien, dann müsste auch Ihnen klar werden, dass es hier ausschließlich um ein Profilierungsbestreben der einzelnen „Funktionseliten“ dem ahnungslosen Wählervolk gegenüber geht. Im Kontext führen derartige Bestrebungen ganz klar in ein politisches Chaos, welches von Unglaubwürdigkeit und Desinteresse der Politik gegenüber geprägt sein wird. Die Entwicklung in den letzten Jahren hat diesen Trend sehr eindrucksvoll bestätigt und unterstreicht die Forderungen nach neuen Wegen.
Sicherlich sind Sie als Parteimitglied da ganz anderer Meinung, und genau die, bzw. die Argumente für eine Beibehaltung des Parteiensystems interessieren mich.
Sehr geehrter Herr Eichhorn,
als Mensch, der sich innerhalb einer Partei für Demokratie engagiert, sehe ich das Problem ähnlich wie Sie. Daß es nicht nur Parteien sind, die die Verfilzungs- und Stagnationserscheinungen in unserem Staatswesen führen, sondern auch wirtschaftliche und Medien-Monopole, macht die Sache keineswegs besser.
Für mich stehen drei Fragen:
1. Wie kann eine Alternative aussehen?
2. Wie können wir schrittweise dahinkommen?
3. Was können wir überhaupt zur Einschränkung des Politikprimats für Parteien tun?
Die erste Frage erscheint mir am schwierigsten zu beantworten zu sein - um darüber nachzudenken habe ich mir für die Antwort auch etwas Zeit genommen. Klarer erscheint eher, was keine Alternative ist: eine Einparteiendiktatur, auch wenn sie sich noch so schön als Volkssozialismus o. ä. gibt (ich bin gelernte DDR-Bürgerin) oder auch eine Oligarchie einzelner Eliten, die einer breiten Bürgerschaft keine Partizipationsmöglichkeit bietet. Da ist mir die jetzige Parteiendemokratie immer noch lieber; das macht sie aber nicht besser.
Ihren Verweis auf die Notwendigkeit neuer Strukturen, die mit wirklich kompetenten Personen Politik ausübt und gestaltet, finde ich an sich richtig. Ich sehe dafür allerdings bisher bei niemandem auch nur in Groben Ansätzen ein Konzept. Wer kontrolliert diese Personen und wer legitimiert sie? Weitergedacht: wie könnten Wahlen funktionieren, wenn es keine Zusammenschlüsse von Gruppen gäbe und keine Programme jenseits der Persönlichkeiten? Wie funktioniert ein Machtwechsel dann? Woher beziehen diese Persönlichkeit die Autorität und die Staatsgewalt, um dauerhaft politisch handlungsfähig zu sein? (Ich habe Ihnen jetzt nicht unterstellen wollen, daß sie das so sehen, sondern versucht, aus meiner Sicht offene Fragen zu skizzieren.)
Wir haben ja in der menschlichen Geschichte immer wieder erlebt, daß es neue Politikstrukturen gab, die aber jeweils über Jahrhunderte weg wieder zu Erstarrungen geführt haben - ob es republikanische oder monarchistische Modelle waren oder Mischformen. Ich glaube allerdings, daß es Aufgabe von Parteien ist, diese Politikformen in Frage zu stellen und ich wäre nicht Mitglied meiner Partei, wenn es in ihr diese Diskussionen auch seit ihrer Gründung gäbe und immer noch gibt - natürlich ebenso wie machtbedingte Verfestigungserscheinungen.
Die Beantwortung der zweiten Frage ist relativ eng mit der ersten, aber auch mit der dritten verbunden.
Ich meine, daß sich Parteien und alle anderen Akteure der Machtausübung (Medien, Lobbyverbände usw.) in der jetzigen Situation für eine Verbreiterung der demokratischen Machtausübung engagieren müssen. Dazu gehört vorrangig eine Veränderung des Wahlrechts auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene, die es neuen Gruppen und Wählervereinigungen deutlich leichter macht, sich einer Wahl zu stellen und in einem Parlament vertreten zu sein. Ich halte die 5 % - Klausel für ebenso überholt wie das notwendige Unterstützungsunterschriftensammeln kleiner Parteien vor der Bundestagswahl (welche Hürde letzteres gerade wieder einmal ist, ist ja vor dieser Bundestagswahl zu beobachten).
Der Modus der staatlichen Parteienfinanzierung und Alimentierung ist zu überdenken; wobei eine rein private Finanzierung die Einflußnahme wirtschaftlicher Kartelle auf die Politik noch verstärken würde und mir nicht als Alternative erscheint. Ich habe mich vielmehr dafür eingesetzt, daß die Alimentierung so erfolgt, daß auch Bevölkerungsgruppen eine freie Teilnahme an Politik ermöglicht wird, die klassischerweise schwach vertreten sind (deshalb gibt es im Dresdner Stadtrat eine Entschädigungsmöglichkeit für Leute mit kleinen Kindern). Alle Elemente der unmittelbaren Demokratie sind sehr wichtig (Volks- und Bürgerbegehren, Volks- und Bürgerentscheide). Sie müssen so gestaltet werden, daß eine Einflußnahme des Staatsvolkes wirklich möglich ist. Dazu gehört nicht nur die Abstimmungsmöglichkeit selbst, sondern auch gute vorhergehende, für alle Seiten praktikable Informationsmöglichkeiten z. B. durch Abstimmungsbüchlein wie in der Schweiz. Wichtig sind weiterhin breite Formen der Einwohner- und Bürgerbeteiligungen wie Akteneinsichtsrechte und vorgeschriebene, praktikable Beteiligungsmöglichkeiten.
Schließlich finde ich Formen der Persönlichkeitsdirektwahl gut - z. B. Bürgermeisterwahlen - , wenn diese nicht damit verbunden sind, daß diesen Persönlichkeiten dann wieder ihrerseits zu viel Macht und eine zu lange Legislaturperiode mitgegeben wird (wie z. B. den vom Volk gewählten Bürgermeistern in Sachsen, die mit einer Amtsperiode von 7 Jahren de facto nicht abwählbar sind). Last but not least gehört in diese einzelnen Schritte der Machtverbreiterung eine Ausweitung des aktiven und passiven Wahlrechtes auf jüngere Menschen (ab 16) und auf Menschen, die nicht von vornherein deutsche Staatsbürger sind, aber hier leben (über die EU-Bürgerinnen und -Bürgerhinaus). Auch eine zu scharfe Begrenzung des Staatsbürgerrechtes erscheint mir demokratiefeindlich.
Wichtig ist schließlich die Kontrolle der Machtausübenden - durch ihrerseits unabhängige und sich in Konkurrenz befindliche Medien, durch unabhängige Gerichte usw.. Sie werden im Programm der Bündnisgrünen etliche dieser Ansätze finden; in einigem ist mir meine Partei zu vorsichtig und da streite ich natürlich auch intern.
Soviel vorerst - mit herzlichen Grüßen
Eva Jähnigen