Frage an Erwin Rüddel von Michaela B. bezüglich Gesundheit
Welche Nachweise, Belege, Aufzeichnungen etc. haben Sie, die die Verhältnismäßigkeit des aktuellen polit. SARS-COV-2 Umgangs sowie die geplanten Änderungen/ Verschärfungen zugehöriger Gesetzesmaßnahmen stützen? Konkret bedeutet dies: Wonach sind die Maßnahmen 1. geeignet? Wonach sind sie 2. erforderlich; also das MILDESTE Mittel? Und 3. welche Argumente wurden schließlich bei der Prüfung von Verhältnismäßigkeit, im Sinne von Nutzen und Schaden, gegenübergestellt? Denn der Nutzen soll den Schaden deutlich überwiegen! Danke.
Sehr geehrte Frau Borger,
vielen Dank für Ihre Nachricht.
Deutschland steckt mitten in der dritten Welle der Corona-Pandemie. Die Zahl der Neuinfektionen steigt stetig. Den Kliniken, insbesondere den Intensivstationen, droht Überlastung. Und noch immer sterben viel zu viele Menschen. Deshalb hat die Koalition eine weitere Änderung des Infektionsschutzgesetzes auf den Weg gebracht, die ab einer 100er-Inzidenz in Landkreisen und kreisfreien Städten bundeseinheitliche Maßnahmen vorsieht – darunter Kontaktbeschränkungen, Ladenschließungen und nächtliche Ausgangsbeschränkungen.
Ein bundeseinheitliches Vorgehen ist notwendig, um den Beschlüssen der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten der Länder bundesweite Geltung zu verschaffen. Denn die Maßnahmen wurden nicht in allen Ländern umgesetzt. Dies ist jedoch in dieser kritischen Pandemie-Lage erforderlich. Seit Mitte Februar 2021 werden in Deutschland deutlich steigende Infektionszahlen registriert; seit Mitte März hat sich der Anstieg der Fallzahlen beschleunigt. Derzeit wird in Deutschland eine Sieben-Tage-Inzidenz von 165,3 registriert. Erfahrungsgemäß kommen diese höheren Zahlen binnen zwei Wochen auf den Intensivstationen an. Das heißt: Deutschland befindet sich mitten in der dritten Welle. Die mittlerweile in Deutschland dominante Virusvariante B.1.1.7 ist nach bisherigen Erkenntnissen deutlich infektiöser und verursacht offenbar schwerwiegendere Krankheitsverläufe. Täglich werden mehr Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen eingeliefert, darunter auch immer mehr jüngere. Noch immer sterben jeden Tag viele Menschen an der Infektion. Auch die Fälle derer, die unter Langzeitfolgen leiden, häufen sich bereits jetzt.
Die Impfkampagne kann indes nur zum Erfolg führen, wenn das Infektionsgeschehen gleichzeitig reduziert wird. Denn damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus sogenannte Escape-Varianten bildet. Gegen solche Varianten könnten die vorhandenen Impfstoffe weniger wirksam sein, und die Impfkampagne würde in ihrer Wirksamkeit insgesamt gefährdet.
Die nun vorgesehene bundesweit einheitliche Regelung der Maßnahmen gibt den Bürgern Klarheit darüber, was in den Landkreisen oder kreisfreien Städten gilt, deren Sieben-Tages-Inzidenz drei Tage lang über 100 liegt. Das Gesetz sieht dabei eine Ausgangsbeschränkung zwischen 22 und 5 Uhr vor – mit Ausnahmen für Notfälle, Berufsausübung, Pflege und Betreuung, Tierversorgung oder ähnlich gewichtige Gründe. Dabei besteht zwischen 22 und 24 Uhr zusätzlich noch die Möglichkeit, sich allein – etwa zu einem Spaziergang – in der Öffentlichkeit aufzuhalten.
Ausgangsbeschränkungen sind ein scharfes Schwert und sicherlich eine der umstrittensten Maßnahmen im Katalog der Regelung. Gleichwohl werden sie nach Meinung von Experten für diese schwierige Phase als notwendig erachtet. Ausgangsbeschränkungen sind dabei ein Baustein im Maßnahmen-Mix gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Sie haben zum Ziel, die Zahl der zwischenmenschlichen Kontakte zu reduzieren und Mobilität zu beschränken. Studien belegen die Wirksamkeit der Maßnahme. In einer kanadischen Untersuchung konnte beispielsweise festgestellt werden, dass nächtliche Ausgangsbeschränkungen die Mobilität in einer Provinz im Vergleich zur Nachbarprovinz um 31 Prozent senkten. Britische Forscher halten Ausgangsbeschränkungen für geeignet, um den R-Wert, also die Angabe, wie viele andere Personen ein Infizierter ansteckt, um 13 Prozent zu senken.
In anderen europäischen Ländern und weltweit haben sich Ausgangsbeschränkungen bei hohen Inzidenzwerten als Mittel zur Eindämmung der Pandemie bewährt. Länder wie Großbritannien oder Portugal haben ihr Pandemiegeschehen mit teilweise weitaus rigoroseren Ausgangsbeschränkungen als die nun für Deutschland vorgesehenen wieder unter Kontrolle gebracht. Sie haben auf diese Weise Leben gerettet und die Funktionsfähigkeit ihres Gesundheitssystems sichergestellt.
Hierzulande gibt es bereits in einigen Bundesländern nächtliche Ausgangsbeschränkungen. Die überwiegende Zahl der verwaltungsgerichtlichen und verfassungsgerichtlichen Entscheidungen hat deren Zulässigkeit nicht in Frage gestellt. Verfassungsrechtlich ist es dabei nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber dem Schutz von Leben und Gesundheit höheres Gewicht einräumt als den durch die Ausgangsbeschränkung hervorgerufenen Beeinträchtigungen.
Dass die Ansteckungsgefahr im Freien geringer ist, wird nicht bestritten. Darauf kommt es in diesem Zusammenhang aber nicht an. Ziel ist es, generell Kontakte zu reduzieren und Mobilität einzuschränken. Wenn Menschen ausgehen, dann in der Regel, um andere Menschen zu besuchen, mit denen sie sich dann in geschlossenen Räumen aufhalten. Je weniger Menschen sich im öffentlichen Raum bewegen, desto seltener begegnen sie anderen Menschen, desto geringer ist die Infektionsgefahr.
Das Coronavirus SARS-CoV-2 wird vornehmlich durch die Atemluft übertragen. Wechselnde Zusammenkünfte mit unterschiedlichen Menschen erhöhen das Risiko, sich anzustecken. Besonders bei privaten Treffen wird es leider nach wie vor oftmals als Herausforderung oder gar Zumutung empfunden, hin-reichend strenge Hygienevorschriften einzuhalten, etwa die ganze Zeit eine Maske zu tragen. Deshalb sollen Zusammenkünfte auf Mitglieder eines Haushalts mit höchstens einer weiteren Person beschränkt werden, am besten immer mit derselben. Die Vorschrift senkt nicht nur die Ansteckungsgefahr, sondern sie erleichtert es den Gesundheitsämtern auch, Infektionsketten nachzuvollziehen und wirksam zu unterbrechen. Kinder bis 14 Jahre werden nicht mitgezählt, wenn sie bei Treffen zwischen Erwachsenen dabei sind. Auf diese Weise sollen soziale Kontakte, die gerade für Kinder und Jugendliche wichtig sind, nicht übermäßig eingeschränkt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Erwin Rüddel MdB