Frage an Erich Heidkamp von Johann D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Heidkamp,
in Ihrem Europawahlprogramm fordern Sie eine Karenzzeit von drei Jahren beim Wechsel von Parlamentariern zwischen Politik und Wirtschaft.
Ich halte diesen Zeitraum für zu kurz. Wenn ich mich als Politiker von der Wirtschaft schmieren lassen würde, um nach dem Ende meiner Amtszeit einen gutbezahlten Posten als "Berater" zu bekommen, wäre eine Wartezeit von nur drei Jahren sicher erträglich. Falschen Anreizen für Parlamentarier und die daraus folgende Korruptionsanfälligkeit würde auch eine Frist von drei Jahren keinen Riegel vorschieben.
Wie sehen Sie das?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr J. D.,
Diese Frage gehört zu den besonders heiß diskutierten Punkten in unserer Partei und ganz wahrscheinlich nicht nur bei uns.
Auf der einen Seite wird eine gewisse Durchlässigkeit, ein gewisser Austausch zwischen Politik, Wirtschaft und Verwaltung gewünscht, auf der anderen Seite steht immer die Befürchtung, dass Politiker ihr Adressbuch, Ihre Kontakte, Ihre gemachten Erfahrungen "verkaufen" könnten. So etwas wird in der Wirtschaft mit einer Konkurrenzklausel oder einer entsprechenden Abfindung geregelt. Ich bezweifle, dass die Bedingungen auf die Politik übertragbar wären.
Wir haben uns ebenfalls dafür ausgesprochen, dass Parteimitglieder, die Mandate anstreben und sich wählen lassen wollen, über einige Jahre Berufserfahrung verfügen sollten, bevor sie in eine Politikerkarriere eintreten.
In der Theorie hört sich das alles wunderbar an, die Praxis ist viel komplexer. Der große Unterschied zu einer Karriere in der Wirtschaft oder der Verwaltung ist, dass der Erfolg dieser Menschen zu einem erheblichen Teil oft nicht von ihrer eigenen Leistung abhängt, sondern vom Abschneiden bei Wahlen, auf deren Resultat sie nur einen beschränkten Einfluss haben.
Nehmen Sie eine junge Person, die mit 25 Jahren ihr Studium oder ihre Ausbildung abschließt. Diese Person würde mit ca. 30 Jahren in die Politik einsteigen, mitten in der Phase der Familiengründung, mit Plänen für Kinder, vielleicht einem Immobilienkredit am Hals. Wenn diese Person dann mit 45 aus dem Amt gewählt wird, sehen seine Chancen, bis auf wenige Spitzenleute, nicht rosig aus.
Man muss also gar nicht unbedingt von großer krimineller Energie ausgehen, um ein gewisses Verständnis dafür zu entwickeln, dass diese Person sich absichern will.
Wie könnte eine Lösung aussehen? Eigenartiger Weise, in dem der Wechsel zwischen Politik, Wirtschaft und Verwaltung zu etwas Normalem würde, viel öfter vorkäme, von vorneherein in die Karriere- oder Lebensplanung mit aufgenommen würde. Dann würden sich Mechanismen, Vorgänge, Verträge, Fristen entwickeln, durch die die Probleme beherrschbar würden. Auch in der Wirtschaft ist es heute üblich, den Arbeitsplatz zu wechseln, oft zum Vorteil beider Seiten.
Menschen, die sich zum Politiker berufen fühlen, verwechseln ihre Rolle und ihr Verständnis offensichtlich oft mit der Umgebung und der Ausstattung von höheren Verwaltungsbeamten.
Die Zeit in einem politischen Amt sollte beschränkt sein. Fangen wir doch einmal oben an. 14 Jahre Kanzlerschaft sind einfach zu viel. Nach einer gewissen Zeit steht nicht mehr das Lösen von Aufgaben im Vordergrund, sondern das Verteidigen der eigenen Position.
Wie schön, wie produktiv wäre es doch, wenn Politiker ihr Wissen, ihre Kontakte, ihre Erfahrungen zum Wohle aller positiv einsetzen würden, nach einem Wechsel in die Wirtschaft oder die Verwaltung. Warum muss das immer negativ gesehen werden? Es dürfte eher eine Frage der gesellschaftlichen Kultur sein, als die Festlegung von fixen Karenzfristen.
Wir sollten uns eine gewisse Naivität erhalten. Es hilft oft beim Ertragen der Wirklichkeit.
Mit freundlichen Grüße
Erich Heidkamp - Hoffentlich bald für Sie im EU Parlament