Frage an Elke Hoff von Benjamin G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Hoff,
Der "Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG" sieht vor, Telekommunikationsunternehmen ab 2008 zu verpflichten, Daten über die Kommunikation ihrer Kunden auf Vorrat zu speichern. Zur verbesserten Strafverfolgung soll nachvollziehbar werden, wer wann mit wem in den letzten sechs Monaten per Telefon, Handy oder E-Mail in Verbindung gestanden hat. Bei Handy-Telefonaten und SMS soll auch der jeweilige Standort des Benutzers festgehalten werden. Bis spätestens 2009 soll zudem die Nutzung des Internet nachvollziehbar werden.
Wie stehen Sie zu diesem Vorhaben, grade in Anbetracht der Tatsachen, dass
- dies einen Erheblichen Eingriff in die Grundrechte auf Privatsphäre,
freie Persönlichkeitsentfaltung und freie informationelle Selbstbestimmung darstellt,
- es damit möglich wird, bei Handy-Vieltelefonierern detaillierte
Bewegungsprofile der letzten 6 Monate durch ganz Europa zu erstellen,
- momentan eine Klage gegen die zugrunde liegende EU-Richtlinie 2006/24/EG vor dem EGH anhängig ist und daher unklar ist, ob die Verpflichtung zur Umsetzung nicht sowieso ex post entfällt sowie
- der Tatsache, dass die Arbeit Berufsgeheimnisträgern grade auf dem Schutz dieses besonderen Vertrauensverhältnisses vor staatlicher Kenntnisnahme beruht, was durch dieses Gesetz quasi ausgehölt wird?
Wie werden sie im November diesbezüglich abstimmen?
Über eine Antwort würde ich mich freuen!
Mit freundlichen Grüßen,
Benjamin Gehrels
Sehr geehrter Herr Gehrels,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 23.10.2007.
Seit Jahren erhebt die FDP-Bundestagsfraktion die Forderung nach einer Gesamtreform der Telekommunikationsüberwachung. Es ist lange bekannt, dass es große Defizite in der geltenden Rechtspraxis gibt. Eine große Anzahl der richterlichen Anordnungen von Telefonüberwachungsmaßnahmen sind fehlerhaft. Auch die Benachrichtigungspflichten an die Beteiligten werden nur sehr unzureichend erfüllt. Zudem steigen die einzelnen Überwachungsmaßnahmen von Jahr zu Jahr stetig an. Eine Reform der gesetzlichen Grundlagen ist daher dringend notwendig. Vor diesem Hintergrund ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass die Bundesregierung nun endlich einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt hat. Die Telekommunikationsüberwachung ist ein wichtiges Instrument zur effizienten Bekämpfung der Kriminalität. Da aber jede Überwachungsmaßnahme gleichzeitig mit Eingriffen in die grundrechtlich geschützten Lebensbereiche der Bürgerinnen und Bürger verbunden ist, ist es dringend geboten, das wichtige Instrument der Telefonüberwachung rechtsstaatlich einwandfrei auszugestalten.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält an einigen Stellen notwendige und sinnvolle Änderungen. Dies gilt insbesondere für die Benachrichtigungspflichten zugunsten der Betroffenen und für den nachträglichen Rechtsschutz. Diese Verfahrenssicherungen gehen in die richtige Richtung. Andere Regelungen sind jedoch problematisch. Es ist bedauerlich, dass in der Strafprozessordnung an einem Katalog festgehalten wird, der die Anlassstraftaten enthält, wegen derer eine Telefonüberwachungsmaßnahme angeordnet werden darf. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen, dass alle Straftatenkataloge, die zunächst übersichtlich und systematisch gestaltet sind, nach und nach, je nach aktuellem Anlass, stets erweitert werden. Es muss daher bezweifelt werden, ob die vorgeschlagenen Regelungen tatsächlich zu der gewünschten Begrenzung der Überwachungsmaßnahmen führen werden. Nicht geglückt sind auch die Vorschriften für Berufsgeheimnisträger. Der Gesetzentwurf bemüht sich, einen einheitlichen Schutz für bestimmte Berufsgruppen zu gewährleisten. Die konkrete Ausgestaltung ist jedoch fragwürdig. Es wird eine Verhältnismäßigkeitsprüfung eingeführt, die den vermeintlichen Schutz nur sehr unzureichend garantiert. Bei der vorgeschlagenen Verhältnismäßigkeitsprüfung wird jeweils im Einzelfall geprüft und festgestellt, inwieweit der Schutz des Berufsgeheimnisträgers reichen soll. Es bleibt daher zunächst offen, in welchem Umfang Angehörige der betroffenen Berufsgruppen bei ihrer Berufsausübung geschützt sind. Objektive Kriterien für die Abwägung fehlen weitgehend. Das Bundesverfassungsgericht hat in letzter Zeit wiederholt die besondere verfassungsrechtliche Stellung von Berufsgeheimnisträgern betont. Der Schutz von Berufsgeheimnisträgern vor verdeckten Ermittlungsmaßnahmen muss daher entsprechend ihrer verfassungsrechtlichen Bedeutung so ausgestaltet werden, dass ein effektiver Grundrechtsschutz gesichert ist. Zur Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens muss der Vertrauensschutz zwischen zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsangehörigen und denen, die ihre Hilfe in Anspruch nehmen, unbedingt gewährleistet werden. Eine willkürliche Differenzierung zwischen bestimmten Berufsgruppen unterläuft das grundrechtlich geschützte Vertrauensverhältnis.
Einen Schwerpunkt des Gesetzentwurfs bildet die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in nationales Recht. Der Deutsche Bundestag hat sich bereits mehrfach mit der Vorratsdatenspeicherung befasst. Im Jahr 2004 hat der Bundestag mit den Stimmen aller Fraktionen einen Beschluss gefasst, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, eine Vereinbarung, die eine Verpflichtung für Unternehmen zur Mindestspeicherungsfrist von Verkehrsdaten vorsieht, in den Gremien der Europäischen Union nicht mitzutragen. Es ist daher außerordentlich bedauerlich, dass sich die Bundesregierung über dieses einstimmige Votum des Deutschen Bundestages hinweggesetzt hat und der entsprechenden Richtlinie zugestimmt hat. Die Speicherung von Daten auf Vorrat begegnet unverändert grundsätzlichen Bedenken in rechtsstaatlicher, wirtschaftlicher und technischer Hinsicht. In diesem Zusammenhang ist es unverständlich, dass die Bundesregierung bei der Umsetzung dieser Richtlinie an einigen Punkten sogar über deren Regelungsgehalt hinausgeht. Dies betrifft insbesondere die Erweiterung der Verwendungszwecke der Daten. Es muss bezweifelt werden, ob die Vorschläge der Bundesregierung zur Umsetzung der EU-Richtlinie tatsächlich verfassungskonform sind. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält zudem unverhältnismäßige Belastungen für die Telekommunikationsunternehmen. Die Vorschriften sind für die betroffenen Unternehmen mit vielfältigen Verpflichtungen verbunden, ohne dass dafür eine angemessene Entschädigungsregelung vorgesehen ist. Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages hat im September 2007 eine Sachverständigenanhörung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung durchgeführt. Die Experten haben überwiegend die Kritik der FDP-Bundestagsfraktion bestätigt. Insbesondere wurden die Vorschriften über die Berufsgeheimnisträger als unzureichend angesehen. Wir hoffen, dass die Bundesregierung nach der Auswertung der Anhörung noch an entscheidenden Stellen Änderungen an ihrem Gesetzentwurf vornehmen wird. Der Gesetzentwurf ist in seiner derzeitigen Fassung aus Sicht der FDP-Bundestagsfraktion nicht zustimmungsfähig.
Mit freundlichen Grüßen
Elke Hoff