Frage an Elisabeth Winkelmeier-Becker von Stefan S. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrte Frau Winkelmeier-Becker,
wie kommen Sie auf die Idee, daß das deutsche Bundesverfassungsgericht in Auslegung der Nicht-Verfassung Grundgesetz den in Art. 6 GG grundgesetzlich garantierten Elternrechten und Elternpflichten in Art. 7 GG angeblich Schranken auferlegt?
Dies ist unwahr. Vielmehr hat das deutsche Bundesverfassungsgericht bisher lediglich Nichtannahmebeschlüsse erlassen sowie für Recht gehalten, daß religiöse Gründe (immerhin Art. 4 GG) einem angeblichen (jedenfalls zu Unrecht angemaßtem) "staatlichem Erziehungsauftrag" nachrangig seien. Nicht nur, daß ein postulierter "staatlicher Erziehungsauftrag" undemokratisch ist (die Bürger bilden den Staat, nicht umgekehrt), so findet sich nichts derartiges im Wortlaut des Grundgesetzes. Die in der Debatte zur Neufassung des §1666 BGB unisono quer durch die Parteien geforderte Zusammenarbeit der (lt. EU-Menschenrechtskommission wegen zahlreicher erheblicher tatsächlicher und institutioneller Mißstände in der EU unerwünschten) deutschen Jugendämter mit den Familiengerichten spricht der rechtsstaatlichen Gewaltenteilung Hohn.
Wie verhält es sich mit dem Grundsatz der Subsidiarität, wenn es nunmehr, zum "Eingriff in Familienstrukturen" (so Bundesjustizministerin Brigitte Zypries), nicht einmal mehr auf elterliches Versagen ankommt?
Wie sollen Eltern ihren grundgesetzlichen Erziehungspflichten aus Art. 6 GG nachkommen, wenn ihnen ihre eigenen Kinder zwangsweise entzogen werden, in staatliche Beschulung verbracht werden müssen und dort nachweisbar schädlicher Gleichaltrigenerziehung, Drogen, Gewalt, unprofessioneller Sportbetätigung mit erheblichen Verletzungen, körperverletzendem Lärm, Beleidigungen und aggressiven Tätlichkeiten ausgesetzt sind?
In diesem Kontext zu behaupten, wie es der Regierungsentwurf, der Gesetz sein soll, sich erdreistet, daß Eltern ja sowieso schuld seien, ist unerhört und infam. Wollen Sie dies wirklich immer noch vertreten?
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Stefan Sedlaczek
Sehr geehrter Herr Sedlaczek,
Ihre erneute Frage ist wirklich eine krude Mischung von (bewusstem?) Missverständnis meiner letzten Antwort, wirrem Verfassungsverständnis, juristischem Halbwissen und schlechtem Stil.
Das Bundesverfassungsgericht hat u.a. in seinem Nichtannahmebeschluss 1 BvR 235/89 vom 21.4.1989 wörtlich ausgeführt: „Der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag, den die Regelungen des Art. 7 GG verfassungsrechtlich voraussetzen und die zu seiner Konkretisierung erlassene allgemeine Schulpflicht beschränken in zulässiger Weise das in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete elterliche Erziehungsrecht. Zu diesem Auftrag gehören neben der Befugnis zur Planung und Organisation des Schulwesens auch die inhaltliche Festlegung der Ausbildungsgänge und Unterrichtsziele sowie die Bestimmung des Unterrichtsstoffs. Dabei darf der Staat unabhängig von den Eltern eigene Erziehungsziele verfolgen.
Die Durchsetzung dieser Ziele, wie sie in Landesverfassungen und Schulgesetzen zulässigerweise geregelt sind, erfordert ein pädagogisches Konzept, das der Staat zu verantworten hat und naturgemäß dem Einfluss seiner Bildungspolitik unterliegt. Allein darin liegt noch kein Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen von Eltern und Kindern. Seine Befugnisse überschreitet der Staat erst dann, wenn er die notwendige Neutralität und Toleranz gegenüber den erzieherischen Vorstellungen der Eltern vermissenlässt, also ihren Erziehungsintentionen von vornherein keinen Raum gibt. …“ Weitere Ausführungen finden Sie z.B. im weiteren Nichtannahmebeschluss vom 29.4.2003.
Ich empfehle Ihnen, sich einmal mit dem Grundsatz der praktischen Konkordanz der Grundrechte auseinanderzusetzen, der die Wechselwirkungen und gegenseitige Begrenzung von Grundrechten beschreibt.
Wenn Sie im Übrigen meinen, Nichtannahmebeschlüsse seien weniger verbindlich als sonstige Entscheidungen über Verfassungsbeschwerden, so ist dies falsch. Ein solcher Beschluss ist nach § 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG unanfechtbar; er wurde im konkreten Fall damit begründet, dass die Sache auch schon bei vorläufiger Prüfung über die Annahme der Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte. Eindeutiger geht es doch wirklich nicht mehr.
Dass Eltern sowieso immer schuld seien, ist entgegen Ihrer Behauptung weder im Gesetz vorausgesetzt noch von mir behauptet. Lesen Sie einfach noch mal meine letzte Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Winkelmeier-Becker