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Elisabeth Winkelmeier-Becker
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Frage von Stefan S. •

Frage an Elisabeth Winkelmeier-Becker von Stefan S. bezüglich Familie

Sehr geehrte Frau Elisabeth Winkelmeier-Becker,

im Bundestag ist die Novellierung des FGG vorgesehen. Von verschiedenen Seiten habe ich nun erfahren, daß diese als Bedrohung für Kinder und Eltern empfunden wird. Die Eingriffsmöglichkeiten der Jugendämter sollen erleichtert werden und die Tatbestandsmerkmale der Kindeswohlgefährdung seien nicht bestimmt genug, so daß ein beliebiger Verdacht schon ausreichend für die Kindeswegnahme sei.

Vor dem Hintergrund der allgemeinen politischen Entwicklung und den jüngsten BGH-Urteilen XII ZB 41/07 und XII ZB 42/07 kann ich die Vorstellung, daß von Staats wegen behördliche Eingriffe gegen Kinder und Eltern erleichtert werden, leider nicht zurückweisen.

Zumal ich den Eindruck habe, daß je größer die Probleme in den Schulen werden und je unzufriedener die beschulten Kinder und ihre Eltern sind, umso mehr Druck und Zwang ausgeübt wird. Eltern, die ihre Kinder vor Schulproblemen beschützen, werden bezichtigt, deren Kindeswohl zu gefährden und das mit der völlig unbewiesenen Mutmaßung, daß das Gute an der Schule ja das Schlechte sei - man hier also den Umgang damit lerne. Eine Vorstellung, die wohl dem Impfen entliehen ist.

Muß ich also als Vater von drei Kindern in Zukunft damit rechnen, daß wir durch die Neuregelung bedroht sind? Dafür besteht sachlich gar kein Anlaß, aber schon die abstrakte Bedrohung erlebe ich leidvoll als solche. Und sie kann ja ganz schnell durch einen Umzug oder einen Personalwechsel beim Jugendamt, durch eine weitere Veränderung der politischen Verhältnisse, konkret werden. Es ist ja nun so, daß wir das alles schon einmal hatten. Es geht mir aber auch nicht nur um uns, sondern ich wünsche auch nicht mitanzusehen, daß - wie in Erlangen - Kinder von der Polizei "abgeholt" werden.

Ich appelliere an Sie, sich aktiv gegen derartige gesetzmäßige Bedrohungen zu verwenden und traue Ihnen das auch zu. Sie leisten ja vorbildlich viel Gutes an vielen Stellen, mein Respekt!

Mit freundlichen Grüßen
gez.
Ihr
Stefan Sedlaczek

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Sedlaczek,

vielen Dank für Ihre Zuschrift und ganz besonders für Ihren Zuspruch zu meiner parlamentarischen Arbeit. Es hat mich sehr gefreut, in diesem Forum auch einmal positive Kritik zu lesen!

Inhaltlich zielt Ihre Frage nach meinem Verständnis auf den in der vergangenen Sitzungswoche verabschiedeten „Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls“ (BT-Drs 16/6815), der überwiegend Änderungen in § 1666 BGB und einigen Vorschriften des FGG einführt. Zu meinem Bedauern hat hier die teilweise sehr einseitige und schlecht recherchierte Berichterstattung einiger Medien bei vielen Eltern in den vergangenen Wochen (verständlicherweise) zu Verunsicherungen geführt.

So verlautbarte beispielsweise eine Initiative, die sich u. a. gegen die in Deutschland mehrfach verfassungsrechtlich bestätigte allgemeine Schulpflicht richtet, die Novelle des § 1666 BGB schränke das Sorgerecht der Eltern ein und verschaffe dem Staat eine weitreichende staatliche Erziehungskontrolle. Eltern müssten künftig schon dann um ihr Sorgerecht fürchten, wenn ihre Erziehungsvorstellungen von denen staatlicher Behörden abwichen. Begründet wurde diese Einschätzung mit der geplanten Streichung des Tatbestandsmerkmals des „elterlichen Erziehungsversagens“ in § 1666 BGB.

Gerne nutze ich die Gelegenheit, noch einmal Zweck und Hintergründe dieser Novelle zu erläutern und Missverständnisse auszuräumen.

Sicher ist richtig, dass die allermeisten Eltern ihre Kinder verantwortungsbewusst und vorbildlich erziehen; bekannt ist aber auch, dass ein kleinerer Prozentsatz der Eltern diese Aufgabe nicht meistert, so dass im Interesse der Kinder Hilfe angeboten und eventuell auch durchgesetzt werden muss.

An dieser Stelle soll die verabschiedete Novelle künftig zu Verbesserungen, also einem früheren Schutz von Kindern durch niederschwelligere Hilfen des Staates, führen. In der Praxis setzten die Jugendämter, die die Aufgabe haben, den betroffenen Eltern und Kindern zu helfen, bislang überwiegend allein auf freiwillige Mitwirkung der Eltern. Wo ein Hilfsangebot nicht angenommen wurde, wurde dann häufig zu lange gewartet, bis das Familiengericht angerufen wurde. Oftmals hatte sich die Lage dann schon so zugespitzt, dass sogleich der Entzug der elterlichen Sorge beantragt wurde. Hier soll das Jugendamt künftig bereits zu einem früheren Zeitpunkt das Gericht anrufen, damit früher und dann gerade mit weniger einschneidenden Maßnahmen Fehlentwicklungen vorgebeugt werden und schließlich der Entzug der elterlichen Sorge vermieden werden kann.

Der Wegfall des Tatbestandsmerkmals „elterliches Erziehungsversagen“ wird nicht die von Ihnen befürchteten Auswirkungen haben. Wichtig ist, welche Tatbestandsmerkmale weiterhin erfüllt sein müssen, bevor das Gericht Maßnahmen anordnet: Es bleibt dabei, dass ad 1) eine Gefährdung des Kindeswohls bejaht werden muss und ad 2) die Eltern entweder nicht willens oder nicht in der Lage sind, die Gefährdung abzuwenden. Unverändert bleibt es außerdem bei der strikten Verhältnismäßigkeit einer vom Gericht angeordneten Maßnahme. Es muss sich immer um das mildeste Mittel handeln, dass zur Abwendung der Gefahr eingesetzt werden kann, und es muss in einem angemessenen Verhältnis zu der Gefährdung stehen. Gerade schwerwiegende Maßnahmen wie die Trennung des Kindes von den Eltern und der Entzug der elterlichen Sorge bleiben – nach dem unveränderten § 1666a BGB - nur als ultima ratio zulässig, wenn es um entsprechend schwerwiegende Kindeswohlgefährdungen geht; hier ist z.B. die Traumatisierung, die mit einer Trennung von den Eltern verbunden sein kann, gegen die im Einzelfall festgestellten Gefahren bei Verbleib bei den Eltern abzuwägen. Damit ist weiterhin ausgeschlossen, dass, wie Sie formulieren „ein beliebiger Verdacht schon ausreichend für die Kindeswegnahme“ sein kann.

Was bewirkt demgegenüber nun der Wegfall des weiteren Tatbestandsmerkmals des Erziehungsversagens? Zunächst ist festzustellen, dass hier bislang neben missbräuchlicher Ausübung der elterlichen Sorge und Vernachlässigung auch unverschuldetes Erziehungsversagen ausreichte, dieses objektive „Versagen“ also gar nicht einen subjektiven Schuldvorwurf gegenüber den Eltern ausfüllen musste. Ein solches unverschuldetes Erziehungsversagen wird in aller Regel zumindest darin zu sehen sein, dass eine andauernde Kindeswohlgefährdung – unabhängig von der anfänglichen Ursache dieser Gefährdung, die auch ohne „Versagen“ der Eltern denkbar ist - von den Eltern nicht abgewendet werden kann. Ein überzeugender Beispielsfall, in dem eine Kindeswohlgefährdung ohne jegliches Erziehungsversagen eingetreten ist, die Eltern aber eine mögliche Hilfe nicht annehmen wollen oder können, ohne dass zumindest darin ein unverschuldetes objektives Erziehungsversagen gesehen werden müsste, ist mir in der öffentlichen Diskussion der Gesetzesänderung nicht begegnet. Ich halte es jedenfalls für richtig, dass die beiden verbleibenden Voraussetzungen allein reichen müssen, um ein Tätigwerden des Jugendamtes zu rechtfertigen. Oder soll in einer solchen Fallgestaltung: Kind ist gefährdet, Eltern können oder wollen nicht helfen, niemand eingreifen?

Daneben ist ein weiterer praktischer Grund für den Verzicht auf die Feststellung des elterlichen Erziehungsversagens zu sehen. Der in der Formulierung des „Versagens“ liegende Vorwurf bildete bisher für die Jugendämter faktisch eine hohe Hürde, bereits zu einem früheren Zeitpunkt, in dem noch mit milderen Mitteln hätte geholfen werden können, das Familiengericht anzurufen. Eltern, denen Erziehungsversagen gerichtlich attestiert wird, fühlen sich zudem angegriffen und sind danach häufig weniger zur konstruktiven und kooperativen Mitarbeit bereit.

Nach meiner Einschätzung betreffen Ihre – allerdings recht vage und am Beispiel des Schulbesuchs für mich nicht ganz nachvollziehbar formulierten – Bedenken im Kern eher ein anderes Tatbestandsmerkmal, nämlich das der Gefährdung des Kindeswohls selbst und damit die Frage, wer die Maßstäbe dafür festlegt, ob eine Gefährdung vorliegt. Hier kann in der Tat Streit zwischen den Eltern einerseits und dem Jugendamt andererseits bestehen, z.B. über die Erforderlichkeit einer Herausnahme des Kindes aus der Familie, über die Erforderlichkeit der Teilnahme an einer Vorsorgeuntersuchung oder über den Nutzen des regelmäßigen Kindergarten- oder Schulbesuches. An diesem Tatbestandsmerkmal ändert sich durch die Gesetzesänderung nichts; weder bei den rechtlichen Vorgaben, noch bei den manchmal bestehenden tatsächlichen Schwierigkeiten, Auswirkungen auf das Kindeswohl vorherzusagen. Hier bleibt es dabei, dass nach Art. 6 Abs. 2 GG vorrangig den Eltern die Verantwortung zukommt für ihr Kind zu sorgen und es vor Gefahren zu schützen. Aufgrund des Erziehungsprimats der Eltern ist das Jugendamt nicht berechtigt, nur aufgrund abweichender pädagogischer, gesellschaftspolitischer, religiöser oder sonstiger weltanschaulicher Vorstellungen eine Gefährdung des Kindeswohls anzunehmen; die Annahme einer Gefährdung des Kindeswohls setzt vielmehr voraus, dass sich bei der weiteren Entwicklung des Kindes eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt.

Auch verfahrensrechtlich bleibt es dabei, dass der Streit um eine Gefährdung des Kindeswohls von einem unabhängigen Gericht zu treffen ist das den Sachverhalt nach den einschlägigen Verfahrensvorschriften unter Beteiligung aller Betroffenen und nötigenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigen im Wege der Amtsermittlung aufklären und bewerten muss. Dies gilt gleichermaßen sowohl für die Eingriffsvoraussetzungen, als auch für die Eignung, Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit der vom Gericht angeordneten Maßnahme. Auf die Beweislast kommt es dabei nicht an; eine „Umkehr der Beweislast“ ist damit folglich auch nicht verbunden.

Die Novelle sieht zudem eine Konkretisierung der Rechtsfolgen vor. Dieser Vorschlag hat in den Stellungnahmen der im Vorfeld bereits beteiligten Länder und Verbände breite Zustimmung gefunden. Die Gerichte sollen künftig stärker als bisher von den verschiedenen, unter der Schwelle der Sorgerechtsentziehung stehenden Instrumenten Gebrauch machen. Der Gesetzentwurf zählt in diesem Zusammenhang beispielhaft das an die Eltern gerichtete Gebot auf, Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch zu nehmen oder für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen. Die Gerichte können familiengerichtliche Weisungen an die Eltern erteilen, d.h. sie können auf die Eltern einwirken, Kindergartenbetreuung in Anspruch zu nehmen, einen Anti-Gewalt-Trainingskurs zu absolvieren oder das Kind ärztlich untersuchen zu lassen. Diese Änderung trägt dem Gedanken der Prävention Rechnung.

Wir nehmen die Sorge der Bürger um den Erhalt des Elternrechts sehr ernst; im Hinblick auf die im Gesetzgebungsverfahren vorgebrachten Befürchtungen haben wir die Gesetzesbegründung deshalb ausdrücklich um die Klarstellung ergänzt, dass die Streichung des Tatbestandsmerkmals „durch missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder durch das Verhalten eines Dritten“ nicht zum Ziel hat, die Schwelle für den staatlichen Eingriff abzusenken und die Grenze zwischen staatlichem Wächteramt und Elternrecht zu verschieben.

Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Winkelmeier-Becker

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