Frage an Elisabeth Winkelmeier-Becker von Rainer L. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Winkelmeier-Becker,
in letzter Zeit habe ich mich aus gegebener Veranlassung mit der Frage des Elternunterhaltes beschäftigt. Beim Versuch mich darüber zu informieren, was mich denn erwarten könnte, bin ich auf so viel unglaubliche Sachverhalte, widersprüchliche Aussagen und u.a. aufgehobene Gerichtsentscheide gestoßen, die ich in unserem Staat nicht für möglich gehalten hätte.
Am 03.11.2006 wurde zum Thema von einer engagierten Bürgerin eine Petition dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags vorgelegt. In dieser Petition ( http://www.forum-elternunterhalt.de/ ) ist das gesamte Dilemma m.E. sehr gut beschrieben. Ungeachtet der Tatsache, dass ich selbstverständlich grundsätzlich zur Unterstützung meiner Eltern bereit bin, stellt sich mir die Situation als nahezu unkalkulierbares, finanzielles Risiko dar, da keine eindeutigen gesetzlichen Regelungen getroffen wurden. Weitere Ausführungen möchte ich mir hier ersparen, da ich davon ausgehe, dass Ihnen die Thematik geläufig ist und sie auch in vorgenannter Lektüre bestens nachzulesen ist.
Wie stehen Sie bitte zu einer Reform der gesetzlichen Regelungen, in denen der Übergang des Unterhaltsanspruchs der Eltern auf den Sozialträger geregelt ist und nach denen die Höhe der Unterhaltsverpflichtung zu ermitteln ist?
Wie sehen Sie die Chancen eine Mehrheit für Gesetzesänderungen zu erhalten in denen mehr Rechtssicherheit für die Unterhaltsverpflichteten geschaffen wird?
Für Ihre Rückantwort danke ich.
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Lenz,
die Verpflichtung zum Elternunterhalt bestimmt sich nach den allgemeinen Regeln des Verwandtenunterhalts im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Sie beruht auf den Grundprinzipien familiärer Solidarität und Einstandspflicht und besteht trotz gesellschaftlicher Veränderungen auch heute unverändert fort.
Nach § 1601 des BGB sind Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Der Verwandtenunterhalt ist Ausdruck einer auf familiärer Bindung beruhenden Mehr-Generationen-Solidarität und von jeher ein grundlegendes Strukturelement der Institution Familie als einer lebenslangen Beistandsgemeinschaft. § 1601 BGB gibt deshalb nicht nur dem Kind gegen die Eltern, sondern auch den Eltern gegen das Kind einen Anspruch auf Unterhalt.
Die Unterhaltspflicht von Kindern gegenüber ihren Eltern besteht jedoch keineswegs uneingeschränkt. Vorrangig vor dem Kind haftet der Ehegatte bzw. Lebenspartner für den Unterhalt (§ 1608 BGB).
Voraussetzungen des Elternunterhalts sind die Bedürftigkeit des anspruchstellenden Elternteils (§ 1602 BGB) und die Leistungsfähigkeit (§ 1603 BGB) des in Anspruch genommenen Kindes. Unterhaltsbedürftig ist nur, wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 Abs. 1 BGB). Der Bedarf des Elternteils und damit die Unterhaltshöhe bestimmen sich nach dessen Lebensstellung (§ 1610 Abs. 1 BGB). Lebt der unterhaltsberechtigte Elternteil in einem Heim, so bestimmt sich der Unterhaltsbedarf in der Regel durch die Heimkosten, soweit diese eigene Einkünfte und Bezüge sowie eigenes Vermögen des Unterhaltsberechtigten übersteigen. Die Leistungsfähigkeit des unterhaltsverpflichteten Kindes wird nach geltendem Recht nur maßvoll angenommen. Leistungsfähig ist, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen in der Lage ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren (§ 1603 Abs. 1 BGB).
Eine gesetzliche Bestimmung des danach dem Unterhaltsverpflichteten konkret zu belassenden Einkommens (sog. Selbstbehalt) besteht zwar nicht. Allerdings hat die Rechtsprechung aus dem Gesetz allgemeine Grundsätze entwickelt, die im Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Lebensverhältnisse bei der Entscheidung der Gerichte berücksichtigt werden. So geben die Oberlandesgerichte unterhaltsrechtliche Leitlinien und Tabellen heraus, die u. a. auch Empfehlungen zur Höhe des Eigenbedarfs (sog. Selbstbehalt) enthalten. Für den Elternunterhalt ist allgemein anerkannt, dass dem Unterhaltsverpflichteten ein deutlich erhöhter Selbstbehalt zu belassen ist.
Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte wird der beim Elternunterhalt zu belassende Selbstbehalt des unterhaltspflichtigen Kindes zurzeit regelmäßig mit monatlich mindestens 1.400 Euro angesetzt. Der zusätzlich zu berücksichtigende angemessene Unterhalt des mit dem Unterhaltspflichtigen zusammenlebenden Ehegatten wird in der Regel mit mindestens 1.050 Euro angesetzt (vgl. Düsseldorfer Tabelle vom 1. Juli 2005, Anmerkungen D.1.). Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass von dem Einkommen, das den genannten Selbstbehalt übersteigt, nur die Hälfte für den Elternunterhalt einzusetzen ist. Zudem sind vorrangige Unterhaltspflichten (§ 1609 BGB) zu berücksichtigen, neben dem Ehegatten also insbesondere auch die Unterhaltspflichten gegenüber eigenen Kindern.
Ist der Unterhaltspflichtige danach nicht in der Lage, den Bedarf des Elternteils aus seinem laufenden Einkommen zu decken, ist zwar auch an eine Vermögensverwertung zu denken. Von dem Unterhaltsverpflichteten wird aber nicht verlangt, seinen Vermögensstamm zu verwerten, wenn die Verwertung ihn von seinen fortlaufenden Einkünften abschneiden würde, die er zur Erfüllung weiterer Unterhaltspflichten, anderer berücksichtigungswürdiger Verbindlichkeiten oder zur Bestreitung seines eigenen Unterhalts benötigt. Allgemein braucht der Unterhaltsschuldner den Stamm seines Vermögens nicht zu verwerten, wenn dies für ihn mit einem wirtschaftlich nicht mehr vertretbaren Nachteil verbunden ist. Auch darf ihm nicht die Möglichkeit genommen werden, selbst eine angemessene Altersvorsorge aufzubauen.
Unter Berücksichtigung der dargestellten Erwägungen bestehen meines Erachtens genügend Möglichkeiten, den Belangen von gegenüber ihren Eltern unterhaltspflichtigen Kindern im Rahmen des jeweiligen Einzelfalls gerecht zu werden.
Im Übrigen hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juni 2005 (1 BvR 1508/96, FamRZ 2005, S. 1051) die geltende Rechtslage bestätigt.
Der Vorrang der Einstandspflichten innerhalb des Familienverbandes gilt auch im Sozialhilferecht. Auch diesem liegt die in unserem Rechtssystem trotz gewandelter Lebensverhältnisse immer noch gültige – und auch in den bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflichten zum Ausdruck kommende – Anschauung der Familie als Not- und Haftungsgemeinschaft zugrunde.
Eine Unterstützung bedürftiger Eltern aus steuerfinanzierten Mitteln der Sozialhilfe kommt folglich nur dort in Betracht, wo die Selbsthilfekräfte einer Familie fehlen oder aber nicht ausreichen, oder wo der Gesetzgeber besondere Schutzvorschriften zugunsten Betroffener in atypischen Lebenssituationen erlassen hat.
Nach § 94 Abs. 1 SGB XII gehen deshalb Unterhaltsansprüche der Eltern für die Zeit der Hilfegewährung, also beispielsweise die Kosten einer Heimunterbringung, bis zur Höhe der geleisteten Sozialhilfeaufwendungen regelmäßig auf den Sozialhilfeträger (idR die Stadt oder Gemeinde) über, der sie dann gegenüber den unterhaltspflichtigen Kindern geltend macht. Damit wird der sozialhilferechtliche Nachranggrundsatz wieder hergestellt.
Die Regelung des § 94 SGB XII sieht dabei – über die unterhaltsrechtlichen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches hinaus – wegen der besonderen Sensibilität des Sozialhilferechts Schutzvorschriften zugunsten des Unterhaltspflichtigen vor, nach denen unter bestimmten Voraussetzungen ein solcher Anspruchsübergang entweder ausgeschlossen oder eingeschränkt ist oder aber von einer Heranziehung des Unterhaltspflichtigen abgesehen werden muss bzw. abgesehen werden kann. Dies gilt z.B. für das Auskunftsverfahren des § 117 SGB XII, denn durch die hierin nachgewiesenen finanziellen Belastungen des Unterhaltsverpflichteten innerhalb eines Familienverbandes wird seine Leistungsfähigkeit von vornherein begrenzt.
Nach alledem kann ich hier keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf erkennen.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesen Ausführungen weiterhelfen und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Winkelmeier-Becker