Frage an Elisabeth Winkelmeier-Becker von Till S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Winkelmeyer-Becker,
wie beurteilen Sie den Einfluss von Lobbyisten der Industrie und von Großverdienern im Kontrast zu Bürgerrechtsbewegungen und Interessenvertretern der Arbeitnehmer auf das parlamentarische Berlin?
Gab es konkrete Situationen, in denen Sie von einer der beiden oben im Vergleich gesetzten Gruppen zu einem Gesetzesentwurf angeregt wurden? Wenn ja, dann nennen Sie bitte die aktuellsten.
Halten Sie die Einschränkung des Einflusses von Lobbyisten auf Parlamentarier und Regierungsbeamte für erforderlich? Wenn nein, warum nicht?
Vielen Dank für Ihre Auskunft.
Sehr geehrter Herr Seyer,
vielen Dank für Ihre Fragen über Abgeordnetenwatch.
Aus meiner Erfahrung als Rechts- und Verbraucherpolitikerin ist der Austausch mit Interessenvertretern wichtig. Wir müssen uns mit vielen komplizierten Sachverhalten vertraut machen, die uns aus unserer eigenen Berufs- oder Lebenserfahrung ansonsten nicht geläufig sind. Dazu sind Gespräche mit den betroffenen Gruppen, Verbänden, NGOs oä aus meiner Sicht unverzichtbar. Dabei ist klar, dass jede Gruppe etc. legitimer Weise vor allem diejenigen Argumente vorträgt, die den eigenen Interessen nützen. Es ist deshalb immer wichtig, möglichst alle Standpunkte einzubeziehen und dann eine eigene, abgewogene Entscheidung zu treffen.
Mit einem Beispiel aus meiner Arbeit als rechts- und verbraucherpolitische Sprecherin kann ich das illustrieren: Bei einem Reformprojekt des Urheberrechts ging es um eine Neuregelung zum Thema Verwertungsgesellschaften/Privatkopievergütung sowie um eine Reform des Urhebervertragsrechts. Mit dieser sehr komplizierten Materie, in der sich große wirtschaftliche und persönliche Interessen widerstreitend gegenüber stehen, hatte ich weder in meinem Studium, noch in meiner Tätigkeit als Richterin jemals zu tun. Hier war ich darauf angewiesen, dass mir die verschiedenen Betroffenen ihre ganz unterschiedlichen Situationen und die daraus folgenden Interessen schildern. Nur so konnte ich die jeweiligen Argumente und Betroffenheiten der verschiedenen Player überhaupt verstehen und der Diskussion um eine gute gesetzliche Regelung des Interessenausgleichs zugrunde legen. Und was sich aus der Schilderung des einen Verbandes sehr plausibel anhörte, wurde durch andere Gespräche und entgegenstehende legitime Interessen wieder relativiert. Die Interessen der noch unbekannten Autoren etwa sehen ganz anders aus als die der Bestsellerautoren, anders als die Interessen der fachlich hoch qualifizierten und notorisch unterbezahlten Übersetzer, anders als die der Verlage, die in unbekannte Autoren mit wirtschaftlichem Risiko investieren, anders als die Interessen der Musiker oder der Schauspieler, deren Werke plötzlich mit ganz anderen Medien (Mediathek, DVD, Streamingdienste) zusätzlich vermarktet werden, anders als die der Statisten und Kameraleute, anders als die der Zeitungsverleger, als die der freien Journalisten, als die der GEMA- oder Rundfunk-Gebührenzahler, der Gerätehersteller oder der Gerätekäufer etc.. Deshalb habe ich in den Monaten vor der Verabschiedung des Gesetzes mit all diesen Betroffenen und den entsprechenden Verbänden gesprochen. Ähnlich ging und geht es mit den unterschiedlichsten Gesprächen z.B. zu den Themen Miete, Bauvertragsrecht, Schutz von Polizisten, Insolvenzanfechtungsrecht, aber auch Menschenhandel, Kinderehen, Verbraucherschutz u.a.m.. Unsere Aufgabe ist es, die Argumente auf ihre Substanz und Berechtigung hin zu prüfen und dann politisch abzuwägen. Wer hier nicht gute Argumente und Fakten liefern kann, wird sich nicht durchsetzen. Das kann auch durch wiederholte Schreiben, Gesprächsanfragen etc nicht ersetzt werden; damit erzielt ein Lobbyist allenfalls einen Belästigungseffekt, der seiner Sache gewiss nicht dient.
Gesetzentwürfe kommen zumeist aus den Bundesministerien oder aus den Koalitionsfraktionen, oft auf Grundlage der zu Beginn einer Legislaturperiode getroffenen Koalitionsvereinbarungen. Es gibt darüber hinaus Gesetzentwürfe aus dem Bundesrat und auch Anregungen für Gesetzentwürfe aus der Mitte der Gesellschaft. Im vergangenen Jahr ging z.B. eine Anregung zu einem Gesetzentwurf auf das besondere Engagement einiger Frauenverbände zurück: die Schließung der Schutzlücke im Sexualstrafrecht, die sogenannte „Nein heißt Nein“-Regelung im Zusammenhang mit Vergewaltigungen, die wir dann zügig im parlamentarischen Verfahren beschließen konnten.
Eine Einschränkung von Gesprächen mit Lobbyisten halte ich nicht für erforderlich, es wäre eher sogar verfassungsrechtlich bedenklich, den Zugang für Bürger und Verbände zu Abgeordneten oder - anders herum - die Möglichkeit für Abgeordnete zur ungehinderten Information einzuschränken. Wer sollte darüber entscheiden, wer mit wem sprechen darf?
Entscheidend ist letztlich, dass wir als Abgeordnete den Interessenvertretern mit der persönlichen Unabhängigkeit begegnen, mit der man den Wünschen eine Absage erteilen kann, die gegenüber noch wichtigeren Interessen zurückstehen müssen.
Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Winkelmeier-Becker