Frage an Elisabeth Winkelmeier-Becker von Saskia T. bezüglich Wirtschaft
Guten Tag Frau Winkelmeier-Becker,
am 23.04.1998 verkündete der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl im Deutschen Bundestag
Ich zitiere:
"Meine Damen und Herren, nach der vertraglichen Regelung gibt es keine Haftung der Gemeinschaft für Verbindlichkeiten der Mitgliedsstaaten und keine zusätzlichen Finanztransfers"
(Quelle: Protokoll der 230. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 23.04.1998, 13. Wahlperiode)
Nun, dies wurde dann, entgegen den Verträgen, mit dem Euro-Rettungsschirm EFSF ausgehebelt welcher Notkredite und Garantien für diverse Mitgliedsstaaten vorsieht. Demnächst steht dann im BT zur Ablösung des Euro-Rettungsschirms die Entscheidung über den Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) an welcher von Umfang her ja über 1000 Milliarden Euro beträgt. Von dieser Summe würde Deutschland ggf. mit mehr als 25 Prozent geradestehen müssen. Zudem wären ja auch zukünftig gewählte Volksvertretungen an eine positive Abstimmung des 17. BT gebunden.
Basierend auf ihrem bisherigen Abstimmungsverhalten muss ich davon ausgehen , dass sie auch dem neuen Euro-Rettungsmechanismus zustimmen werden.
Mich würde jedoch sehr interessieren ob es für Sie hinsichtlich derartiger umfassenster Verpflichtungen, bzw. "Solidaritätsakte" eigentlich noch irgendeine Schmerzgrenze gibt, bei der sie der Regierungs- bzw. Fraktionsdisziplin nicht mehr folgen werden, bzw. wo sie einen Punkt erreicht sehen bei dem Sie aus Gewissensgründen es ablehnen müssen durch die Zusage von Bürgschaften, Verpflichtungen ggf. einen Staatskollaps o.ä. im eigenen Land zu provozieren.
Vielen Dank für eine Antwort, mit freundlichen Grüßen
Saskia Trant
Sehr geehrte Frau Trant,
vielen Dank für Ihr Schreiben zum Thema Euro-Staatsschuldenkrise und EFSF.
In der Abstimmung im Deutschen Bundestag am vergangenen Mittwoch habe ich - nicht leichten Herzens, aber doch mit Überzeugung - für den gemeinsamen Entschließungsantrag von CDU/CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gestimmt, der der Kanzlerin die Rückendeckung für den anschließenden Gipfel der 17 Regierungschefs der Euro-Zone in Brüssel gegeben hat.
Auch wenn es nicht leicht fällt, die Verantwortung für diese Maßnahmen mitzutragen, bin ich doch überzeugt, dass es absolut nicht verantwortbar wäre, in der jetzigen Situation keine effektive Handlungsmöglichkeit zu haben. Gerade im Fall eines Schuldenschnitts für Griechenland unter Beteiligung privater Gläubiger, wie er sich ja konkret abzeichnet und wie ihn gerade auch EFES-Skeptiker ja vielfach fordern, aber auch bei weiteren Finanzierungsproblemen anderer Staaten oder Banken wäre sonst ein Durchschlagen auf das Finanzsystem und die Wirtschaft in ganz Europa mit massiven und unkalkulierbaren Auswirkungen auch auf Deutschland zu befürchten. So kann etwa niemand vorhersagen, bei welcher Schuldenkürzungsquote und bei welchem Maß an „Freiwillig-“ bzw. Unfreiwilligkeit der Beteiligung auf Seiten der Gläubiger Kreditversicherungen in welcher Höhe und bei welchen Banken bzw. in welchen Ländern fällig werden.
Nach meinem Eindruck unterliegen viele EFSF-Skeptiker dem Irrtum, wir könnten diese Abläufe aus deutscher Sicht ohne Beteiligung an der Stabilisierung Griechenlands oder anderer betroffener Staaten in Ruhe abwarten, ohne selbst die Auswirkungen zu spüren. Die vielfach geforderte „geordnete Insolvenz“ von Griechenland oder auch weiteren Staaten, die zur Zeit Probleme bei der Refinanzierung ihrer Schulden auf dem freien Markt haben, vielleicht noch ergänzt um ein Herausgehen Griechenlands aus dem Euro sind aber keineswegs die einfache Lösung, die Deutschland nicht ebenfalls betreffen würde. Nicht zuletzt die Lehmann-Pleite hat doch eindringlich gezeigt, dass solche Krisen nicht vor Währungsgrenzen halt machen und über die international vernetzten Banken infolge des Vertrauensverlustes und der darauf folgenden Einschränkung der Kreditvergabe im Interbankenverkehr und gegenüber der Realwirtschaft zu großen Einbrüchen auch in unserer Wirtschaft führen würden.
Dieses weit höhere Risiko für uns alle kann ich erst recht nicht verantworten. Auch die Kollegen, die eine andere Entscheidung getroffen haben (und hierzu natürlich frei von irgendeinem „Fraktionszwang“ die Möglichkeit hatten), können mir keine überzeugende Antwort geben. Alle Institutionen, IWF, EZB und EU-Kommission haben dementsprechend massiv davor gewarnt, einen solchen Schritt ohne handlungsfähige ESFS-Regelung durchzuführen.
Gut war, dass diese Entscheidung nochmals vom gesamten Bundestag getroffen worden ist. Das unterstreicht die demokratische Legitimation und gibt der Bundeskanzlerin Rückendeckung bei ihrer wirklich schwierigen Aufgabe, alles notwendige für eine funktionierende europäische Lösung zu tun, dabei aber die Interessen Deutschlands als dem wirtschaftlich stärksten Akteur mit dem höchsten finanziellen Einsatz zu wahren und gegenüber den Begehrlichkeiten der anderen Länder zu verteidigen. Gut ist auch, dass die bisher absehbaren Reaktionen der Märkte in die richtige Richtung gehen.
Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Winkelmeier-Becker