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Elisabeth Winkelmeier-Becker
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Frage von Carsten S. •

Frage an Elisabeth Winkelmeier-Becker von Carsten S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Guten Tag Frau Winkelmeier-Becker,

erneut wende ich mich an Sie zum Thema des Bundeswehr Einsatzes in Afghanistan.
Wie den Medien, der Presse sowie nicht zuletzt den Betroffenen (Soldaten und deren Familien und afghanischen Familen in Deutschland ) zu entnehmen ist, eskaliert die Sicherheitssituation in Afghanistan zusehends. Von einer Aufbaumission der Bundeswehr kann wohl kaum noch die Rede sein über weitere Verstärkungen (Personell und Materiell) wird mehr oder weniger offen diskutiert.
Ich möchte Sie, auch im Hinblick auf die anstehende Bundestagswahl fragen, ob Sie es nicht angesichts der zahllosen Auslandeinsätze der Bundeswehr, endlich eine Grundgesetzänderung hinsichtlich des Einsatzes der Bundeswehr im Ausland anstreben. Warum drängt die Union auf Einsatzmöglichkeiten der Bw im Inland, weigert sich aber offensichtlich den Einsatz der Bundeswehr im Ausland als das zu bezeichnen was er ist, nämlich ein Kriegseinsatz.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Schulz,

zunächst zu Ihren Ausgangsthesen: Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich auch an den Standorten der deutschen Truppen verschärft. Dass sie diesen Gefahren ausgesetzt sind und deutsche Soldaten in ihrem Einsatz für ISAF ums Leben gekommen sind, ist schwer zu ertragen. Es gibt keinen Anlass, dies zu verharmlosen; damit würde man vor allem der Leistung der Soldaten nicht gerecht. Eine ungeschönte Analyse der Lage ist außerdem wichtig, um die richtigen Prioritäten zu setzen. Dazu gehört die Bereitschaft, alles für eine optimale Ausbildung, Ausrüstung und Betreuung der Soldaten zu tun, um sie zu schützen und ihren Einsatz sinnvoll und erfolgreich gestalten zu können.

Ich teile allerdings nicht Ihre Einschätzung, dass deshalb von einer Aufbaumission der Bundeswehr nicht mehr die Rede sein könne. Es ist unverändert das Ziel des Bundeswehreinsatzes im Rahmen von ISAF, dass die afghanischen Behörden in die Lage versetzt werden, selbst für Sicherheit und Stabilität in ihrem Land zu sorgen. Parallel dazu muss der zivile Wiederaufbau vorangetrieben werden. Beides zusammen schafft dann die Voraussetzungen für eine gesellschaftliche und politische Entwicklung, in der die Menschen sich gegen eine Vorherrschaft der Taliban wehren wollen und können. Das ist gemeint mit dem Prinzip der „Vernetzten Sicherheit“, das dem Einsatz der Bundeswehr zugrunde liegt.

Die Erfolge, die hier bereits erzielt worden sind, sind wirklich beachtlich: Seit 2001 sind mehr als 3500 neue Schulen erbaut worden. 2001 gab es keine weiterführenden Schulen, heute studieren mehr als 50.000 junge Menschen an 19 Universitäten. 85 % der Menschen haben Zugang zu medizinischer Versorgung, 14.000 km Straßen sind gebaut oder repariert worden. Von der Wiederherstellung und dem Aufbau der Trinkwasserversorgung profitieren rund 1 Mio Menschen. Dazu hat Deutschland maßgeblich beigetragen.

Diese Leistungen werden auch durch den Tod der Soldaten nicht in Frage gestellt. Eher andersherum: Diese Erfolge jetzt aufzugeben, bevor sie zu einem abgesicherten und sich selbst tragenden politischen und gesellschaftlichen Prozess in Afghanistan geworden sind, würde die Leistung der Soldaten, die dafür einen hohen Einsatz geleistet haben, entwerten. Der Erhalt der bisherigen Aufbauleistung und der weitere zivile Aufbau sind zur Zeit realistischer Weise nur möglich, wenn militärischer Schutz gewährleistet ist. Ohne diesen Schutz würden in kürzester Zeit die Taliban wieder die Vorherrschaft übernehmen, mit ihren menschenverachtenden und kruden Vorstellungen in Bezug auf das Recht zur selbstbestimmten Lebensgestaltung und allgemein zu Menschen- und Bürgerrechten; das fängt bei dem Verbot zum Schulbesuch von Mädchen, bei der Aberkennung fundamentalster Rechte für Frauen und der Geltung der Scharia an und hört beim Verbot von Musikhören und Tanzen noch lange nicht auf.

Von diesem umfassenden Wiederaufbau profitieren zunächst die Menschen in Afghanistan. Unser Interesse gemeinsam mit den anderen an ISAF beteiligten Staaten ist es unverändert, auf diese Weise den international tätigen Terroristen einen Rückzugsraum zur ungestörten Ausbildung ihrer Kämpfer und Vorbereitung von Anschlägen zu nehmen, die auch Deutschland betreffen könnten.

Es geht demnach in diesem Sinne weiter um eine Aufbaumission, an deren verfassungs- und völkerrechtlicher Bewertung sich nichts geändert hat.

Sie fragen, warum der Begriff „Krieg“ in diesem Zusammenhang vermieden wird. Mir stellt sich die Frage auch andersherum: warum ist es Ihnen eigentlich so wichtig, hier von Krieg zu sprechen, warum würden Sie sich dann wohler fühlen? Es gibt gewiss keinen Anlass, die Situation im Einsatzgebiet der Bundeswehr zu verharmlosen. Die gefährlichen Kampfhandlungen, in die unsere Soldaten verwickelt werden, rechtfertigen durchaus den Vergleich zu kriegerischen Situationen. Wenn Sie deshalb in Ihrem privaten Sprachgebrauch von Krieg (gegen wen eigentlich?) sprechen wollen – ok. Der offiziell verwendete Terminus Krieg beschränkt sich in seiner Bedeutung allerdings nicht auf die konkrete Kampfsituation; die Feststellung des Verteidigungsfalles hätte nach Art. 115 a ff GG weitreichende verfassungsrechtliche Folgen, u.a. würde nach Art. 115 b GG die Kommandogewalt auf die Bundeskanzlerin übergehen, Bundesregierung und Gemeinsamer Ausschuss würden weitreichende Kompetenzen bekommen und es gäbe keine Bundestagswahl am 27. September, weil nach Art. 115 h GG sich die laufende Wahlperiode bis zum Ablauf von 6 Monaten nach Ende des Verteidigungsfalls verlängern würde. Ein weiteres Problem sind die Lebensversicherungen, die beim Tod von Soldaten die Zahlung verweigern wollen, weil die Police eine „Kriegsausschlussklausel“ enthält. Hier wäre es nicht im Sinne der Soldaten und ihrer Familien, von Krieg zu sprechen.

Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Winkelmeier-Becker

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