Frage an Elisabeth Winkelmeier-Becker von Wolfgang S. bezüglich Jugend
Sehr geehrte Frau Winkelmeier-Becker,
im Zusammenhang mit den geplanten InternetSperren für Kinderpornografie hätte ich ein paar Fragen zum §184b StGB. Frau von der Leyen hat sich ja so geäußert, dass es nicht um posierende Kinder, sondern um die Darstellung von Vergewaltigung mit schweren körperlichen Verletzungen gehe.
Warum ist im Gesetzestext von Gewalt keine Rede, sondern lediglich von sexuellen Handlungen? Sollte hier nicht wenigstens Gewaltanwendung als strafverschärfend erwähnt werden? Stattdessen werden sogar fiktive, aber wirklichkeitsnahe Schriften den Gewaltdarstellungen gleichgestellt (allerdings nur im Abschnitt (2), der Besitzverschaffung, nicht in Abschnitt (1), der Verbreitung - welchen Sinn hat das denn??).
Es mag ja so sein, dass jede Form von pornografischer Abbildung für die Kinder seelisch schädlich ist, aber warum ist der Gesetzestext so undifferenziert und zielt gar nicht auf den zu erwartenden Schaden der Kinder ab?
Muss man hier nicht ehrlicherweise sagen, dass es gar nicht um die seelischen Schäden der Kinder geht, sondern darum, als ekelhaft empfundene Darstellungen perverser Praktiken zu verbieten?
Mit freundlichen Grüßen,
Wolfgang Schwarz.
Sehr geehrter Herr Schwarz,
leider ist mir die von Ihnen angesprochene Äußerung der Bundesfamilienministerin Dr. Ursula von der Leyen nicht bekannt; auch weiß ich nicht, in welchem Zusammenhang sie diese ggf. getätigt hat. Ich kann sie daher weder bewerten noch kommentieren. Ich halte es jedoch für absolut verfehlt, im Zusammenhang mit dem gerade verabschiedeten Zugangserschwerungsgesetz eine grundsätzliche Diskussion über die Strafbarkeit der Herstellung, der Verbreitung und des Besitzes von Kinderpornografie zu führen.
Es ist richtig, das das Zugangserschwerungsgesetz auf § 184b StGB verweist, der eben diese Tatbestände unter Strafe stellt. Im Zugangserschwerungsgesetz geht es jedoch ausschließlich um die Erschwerung des Abrufs von Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen. Eine Sperrung soll künftig den Zugang zu Seiten mit kinderpornografischen Inhalten vor allem für Zufallsnutzer erschweren. Bislang konnten im Internet kinderpornografische und damit rechtswidrige Inhalte schnell, anonym und ohne soziale Kontrolle verbreitet und konsumiert werden. Genau dies soll das Zugangserschwerungsgesetz künftig verhindern.
Die Strafbarkeit der Verantwortlichen nach den einschlägigen Vorschriften des Strafgesetzbuches bleibt daneben selbstverständlich bestehen. Insbesondere § 184b StGB ist von der Neuerung unberührt.
Bereits seit Jahrzehnten stehen Herstellung, Verbreitung und Veröffentlichung pornografischer Schriften, die den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben, in Deutschland unter Strafe. Hierüber besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens.
Seit 1993 ist auch der Besitz pornografischer Schriften strafbar, die den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben, soweit diese Schriften ein tatsächliches oder wirksamkeitsnahes Geschehen wiedergeben. Die Einführung der Besitzstrafbarkeit, die auf einen Rahmenbeschluss des Europarates von 1991 zurückgeht, diente u.a. der Beweiserleichterung; zudem sollte hierdurch der Anreiz zur Herstellung kinderpornografischer Schriften bekämpft werden. Da jeder Erwerb und Besitz von Kinderpornografie die Herstellung entsprechender Aufnahmen fördert, schützt die Strafandrohung von Erwerb und Besitz die für diese Aufnahmen verwendeten kindlichen Darsteller. Hierin liegt eben auch der Unterschied zum Besitz von beispielsweise kinderpornografischen Phantasiezeichnungen, der nicht tatbestandsrelevant ist.
Im Zuge der Umsetzung des EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung sexueller Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie wurden die Straftatbestände schließlich im vergangenen Jahr auch auf Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren ausgeweitet und neu gefasst in § 184b StGB. Die Vorschrift entspricht also im Wesentlichen der bereits seit vielen Jahren gültigen Rechtslage zur Kinderpornografie, die Opfer unter vierzehn Jahren erfasste.
Nicht ohne Grund finden sich diese Tatbestände im Dreizehnten Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches, mit dessen Vorschriften die sexuelle Selbstbestimmung geschützt wird. Schutzgut des § 184b StGB ist insbesondere die von vorzeitigen sexuellen Erlebnissen ungestörte Gesamtentwicklung von Kindern und Jugendlichen und damit ihre Möglichkeit zur sexuellen Selbstbestimmungsfähigkeit.
Eine sexuelle Handlung im Sinne dieses Abschnittes setzt daher auch nicht zwingend eine körperliche Berührung oder gar physische Gewaltanwendung voraus, auch wenn sie natürlich in einer solchen bestehen kann.
Nach dem Willen des Gesetzgebers und ständiger Rechtsprechung ist nicht einmal eine konkrete Beeinträchtigung des seelischen Wohls oder der Entwicklung des Kindes (also der Eintritt eines seelischen Schadens) durch die sexuelle Handlung erforderlich; auf die sexuelle Erfahrenheit des Kindes kommt es ebenso wenig an wie darauf, ob es die sexuelle Natur der Handlung überhaupt wahrnimmt oder erkennt.
Die eigentliche Intensität der (abgebildeten) Handlung und die hierdurch ggf. entstandenen tatsächlichen Schäden bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen spielen hingegen sehr wohl eine Rolle beim Strafmaß, das z. B. im Grundtatbestand des § 184b StGB einen Strafrahmen von 3 Monaten bis zu 5 Jahren umfasst. Auch können ggf. weitere Tatbestände des StGB in Tateinheit erfüllt sein, z.B. wenn es um das Herstellen von kinderpornografischen Schriften iSd § 184b StGB geht, was sich nochmals strafverschärfend auswirken kann.
Kinderpornografie, also die Verbreitung von Bildern erniedrigter, gequälter und vergewaltigter Kinder, ist ein abscheuliches Verbrechen. Im Rahmen einer Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Kinderpornografie haben wir daher in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sukzessive das Herstellen, die Verbreitung und schließlich den Besitz von Kinderpornographie lückenlos unter Strafe gestellt und dies auch auf Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren ausgeweitet. Mit dem Zugangserschwerungsgesetz erschweren wir nun auch die Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten im Internet, neben der strafrechtlichen Verfolgung ein weiterer wichtiger Teilaspekt im Gesamtkonzept.
Bei all diesen Maßnahmen geht es ausdrücklich darum, die Gesamtentwicklung von Kindern zu schützen und von sexuellen Erlebnissen jeglicher Art freizuhalten, die nicht in der kindlichen Entwicklung selbst, sondern in den sexuellen Motiven Erwachsener begründet sind.
Wenn Sie im letzten Absatz Ihrer Anfrage hingegen prüde Moralvorstellungen als eigentliches Motiv zur Bekämpfung von Kinderpornografie unterstellen, es gehe „ehrlicherweise“ lediglich darum, „als ekelhaft empfundene Darstellungen perverser Praktiken (gesetzlich) zu verbieten“, liegt das völlig neben der Sache.
Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Winkelmeier-Becker