Frage an Elisabeth Winkelmeier-Becker von Michael S. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Winkelmeier-Becker,
hier sind einige Fragen von Ihnen ausführlich beantwortet worden, doch kommt m. E. ein gravierendes gesellschaftliches Problem zu kurz: der Kontaktabbruch von Trennungskindern zum nichtbetreuenden Elternteil inklusive der gesetzlichen Ungleichstellung "nichtehelicher" Kinder und ihrer Väter.
Was ist zu der BVerfG-Entscheidung aus dem Januar 2003 geplant, die die Verwandtschaftsbeziehung von Kindern nicht mit der Mutter verheirateter Väter mit ebendiesen hinter den ja auch willkürlich ausfüllbaren Trauschein zurückstellt und die Entscheidung über die prinzipiell gemeinsame Sorge nach dem Vorbild anderer EU-Staaten an den Gesetzgeber zurückverweist?
Wie kann es sein, daß Richter entscheiden können, ein Kind brauche "Ruhe" und den Umgang mit einem Elternteil ohne gravierende Gründe für Jahre "sperren", weil dieser verzweifelt um Kontakt zu seinen Kindern kämpfen muß, was dann oftmals ausgerechnet als vermeintliche "Streitsucht" ausgelegt wird?
Wie kann dem Grundrecht auf Familienleben, ohne Orientierung an schlechten Beispielen (Elternteile, die ihre Kinder im Stich lassen), Rechnung getragen und zum Wohle der Kinder eine tatsächliche Gleichberechtigung von Männern (Vätern) und Frauen (Müttern) bewirkt werden?
Mit freundlichen Grüßen,
Michael Siebel
Sehr geehrter Herr Siebel,
vielen Dank für Ihre Anfrage zur Problematik des Kontaktabbruchs von Trennungskindern zum nichtbetreuenden Elternteil.
Die von Ihnen angesprochene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geht bekanntlich von der Verfassungsmäßigkeit der bestehenden Regelung aus. Wie das Gericht detailliert ausführt, durfte der Gesetzgeber typisierend davon ausgehen, dass bei unverheirateten Eltern in der Regel die Bereitschaft zur Abgabe einer Sorgeerklärung bestehen dürfte, wenn auf Ebene der Eltern die notwendige Beziehung vorhanden ist, die für eine gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge erforderlich ist. Der Gesetzgeber durfte nach Auffassung des Gerichts insbesondere davon ausgehen, dass eine gegen den Willen eines Elternteils erzwungene gemeinsame Sorge regelmäßig mit mehr Nachteilen als Vorteilen für das Kind verbunden ist. Bei verheirateten Eltern könne demgegenüber davon ausgegangen werden, dass in der Eheschließung der Wille beider Eltern zur gemeinsamen Sorgeausübung durch die Eltern bekundet worden sei; auch in diesem Fall beruhe die gemeinsame Sorge auf den übereinstimmenden Erklärungen im Eheversprechen. (Auch wenn es sicher nicht die Lösung aller Fälle wäre: vielleicht könnte im Einzelfall der ein oder andere Vater sein Sorgerechtsproblem lösen, indem er seine Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung für die Familie in dem Vorschlag zum Ausdruck bringt, die Mutter seines Kindes zu heiraten.).
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber allerdings aufgegeben, die tatsächliche Entwicklung zu beobachten und zu prüfen, ob seine Annahmen auch vor der Wirklichkeit Bestand haben. Anderenfalls muss er zugunsten von Vätern nicht ehelicher Kinder, die mit Mutter und Kind als Familie zusammenleben, einen Zugang zur gemeinsamen Sorge eröffnen, der seinem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG unter Berücksichtigung des Kindeswohls ausreichend Rechnung trägt.
Dementsprechend wird es Aufgabe des Bundesministeriums der Justiz sein, die Regelung zu evaluieren und die tatsächlichen Voraussetzungen zu prüfen. Dazu hat das BMJ bereits Vorbereitungen getroffen.
Im Mittelpunkt aller Reformüberlegungen muss das Wohl des Kindes stehen; dem entspricht nach meiner Überzeugung in der Regel eine - in unterschiedlichen Ausformungen denkbare - Beteiligung beider Eltern an der Erziehung des Kindes. Ich halte es deshalb jedenfalls für sehr überlegenswert, zumindest eine gerichtliche Einzelfallentscheidung zu ermöglichen, die die Zustimmung der Mutter zur Sorgeerklärung des Vaters ersetzen kann, wenn es dem Kindeswohl dient. Zunächst sollte allerdings die Untersuchung des BMJ abgewartet werden.
Im Übrigen haben wir mit der Reform des FamFG, die vor allem eine Beschleunigung des Verfahrens und das Hinwirken auf einvernehmliche Lösungen in Kindschaftssachen mit Elementen des Kochemer Modells bewirken soll, gerade auch im Hinblick auf eine frühzeitige Sicherung des Umgangs mit dem getrennt lebenden Elternteil einige verfahrensrechtliche Verbesserungen erreicht, um das Gerichtsverfahren zu einer Chance für die Gestaltung der familiären Beziehungen werden zu lassen, anstatt selbst eine Belastung darzustellen. Unumgänglich wird allerdings bleiben, dass die Einzelfallentscheidung, welche konkrete Sorge- und Umgangsregelung letztlich dem Wohl des Kindes am besten entspricht, nicht durch den Gesetzgeber getroffen werden kann, der eine abstrakt-generelle Regelung für alle denkbaren Fallgestaltungen treffen muss (einschließlich solcher Fälle, in denen z.B. wegen einer gewaltgeprägten Vorgeschichte der Kontakt des Kindes zum anderen Elternteil für das Kindeswohl tatsächlich nicht günstig erscheint). Die Einzelfallentscheidung muss vielmehr immer ganz konkret von einem Gericht getroffen werden und wird aus der unterschiedlichen subjektiven Sicht zerstrittener Eltern auch immer potenziell angreifbar bleiben. Ich bin allerdings überzeugt, dass die Familienrichter zusammen mit Jugendämtern, Verfahrensbeiständen und gegebenenfalls mit Hilfe von Sachverständigen sich in aller Regel mit großem Engagement und Sachverstand dafür einsetzen, die beste Lösung für das Kind zu ermitteln und zur Grundlage ihrer Entscheidungen zu machen.
Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Winkelmeier-Becker