Frage an Egon Jüttner von Alexander Z. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Jüttner,
meine Frage an Sie ist eigentlich stellvertretend für alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages:
Mit Urteil vom 3. Juli 2008 urteilte das BVerfG, dass § 7 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 6 Abs. 4 und 5 des Bundeswahlgesetzes verfassungswidrig sind, soweit hierdurch ermöglicht wird, dass ein Zuwachs an Zweitstimmen zu einem Verlust an Sitzen der Landeslisten oder ein Verlust an Zweitstimmen zu einem Zuwachs an Sitzen der Landeslisten führen kann.
Mit dem heutigen Tage (30. Juni 2011) endet die vom BVerfG gesetze Frist zur Neuregelung.
Ich bitte um Stellungnahme, wie es sein kann, dass der Deutsche Bundestag eine verbindliche Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes missachtet? Sie mögen einwenden, dass die Verhandlungen schwierig, langwierig sind. Das die Neuregelung des Bundeswahlrechtes nicht trivial ist. Dem stimme ich zu.
Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Deutsche Bundestag ab dem morgigen Tag eine verbindliche Vorgabe des BVerfG missachtet. Und es geht hier nicht um Kleinigkeiten; es geht um einen Grundpfeiler unserer Demokratie -- Wahlen! Wenn unsere Abgeordneten die Verfassung und das BVerfG in dieser entscheidenden Frage missachten, wie kann ich meinen Abgeordneten noch trauen, wenn diese mal wieder nach ELENA, Vorratsdatenspeicherung, Einschränkung meiner Bürgerrechte, Einsatz der BW im Inneren etc. pp. schreien?
Was wäre denn, würde sich der Bundestag am Montag auflösen? Hätte nicht der nächste Bundestag -- gewählt nach einem verfassungswidrigen Wahlrecht -- ein Legitimationsproblem?
Ich appelliere dringend an Sie und Ihre Kollegen -- gleich welcher Partei: Setzen Sie sich zusammen und reformieren das Wahlrecht so bald als möglich gemäß den Vorgaben des BVerfG.
Bei diesem Thema darf es nicht darum gehen, ob und welche Partei einen Nachteil aus dem Wegfall der Überhangmandate zieht! Es geht hier nicht um Parteien, es geht um unsere Demokratie!
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Zschach,
vielen Dank für Ihre Anfrage zur Reform des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 3. Juli 2008 eine Neuregelung des Bundestagswahlrechts bis zum 30. Juni 2011 verlangt. Dabei soll der Effekt des sogenannten negativen Stimmgewichts beseitigt werden.
Diese Frist konnte leider nicht eingehalten werden, da die Umsetzung der Vorgaben mehr Zeit in Anspruch genommen hat als erwartet. Diese späte Lösung wurde von mir und meinen Kollegen vielfach bedauert.
Der Gesetzesentwurf der Koalitionsfraktionen wurde am 30. Juni 2011 in erster Lesung im Deutschen Bundestag debattiert. In ihrem Gesetzentwurf schlagen die CDU/CSU- und die FDP-Fraktion vor, die bisher mögliche Verbindung von Landeslisten einer Partei abzuschaffen, da diese in erster Linie für das negative Stimmgewicht verantwortlich ist. Das sogenannte negative Stimmgewicht bedeutet, dass im geltenden Wahlrecht die Situation auftreten kann, dass ein Mehr an Zweitstimmen für eine Partei dazu führen kann, dass diese im Ergebnis weniger Sitze erhält. Oder dass umgekehrt weniger Zweitstimmen zu einem Zuwachs an Sitzen für diese Partei führen. Damit könnten die in einem Bundesland errungenen Zweitstimmen einer Partei nicht mehr mit den in einem anderen Land erzielten Zweitstimmen verrechnet werden.
Im Grundsatz wird das den Bürgerinnen und Bürgern vertraute personalisierte Verhältniswahlrecht mit der eigenständigen Bedeutung von Erst- und Zweitstimme beibehalten. Die Koalitionsfraktionen haben sich darauf geeinigt, dass die Wahlbeteiligung als maßgebliches Kriterium für die Verteilung der Sitze in den Ländern gestärkt werden soll. Damit wird sichergestellt, dass bundesweit ungefähr die gleiche Anzahl an Wählerstimmen erforderlich ist, um ein Mandat zu erringen. Der vorgelegte Gesetzesentwurf bietet folglich einen angemessenen Kompromiss zwischen den Interessen der kleinen und der großen Parteien.
Im Unterschied zu den von der Opposition vorgelegten Vorschlägen erfüllt der Gesetzesentwurf der Koalition als einziger die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Die Gesetzesentwürfe der Oppositionsfraktionen, die lediglich auf die Abschaffung von Überhangmandaten abzielen, verkennen das eigentliche Problem und greifen damit zu kurz. Das Bundesverfassungsgericht hat Überhangsmandate gebilligt, da es in ihnen nicht die Ursache für das sogenannte negative Stimmgewicht sieht. Eine Beseitigung der Überhangmandate erfüllt folglich die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Egon Jüttner