Frage an Egon Jüttner von Christian W. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Lieber Herr Dr. Jüttner,
meine Frage dreht sich um die laufenden Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst auf Bundes- und Kommunalebene.
Kommt der neue Tarifvertrag (TVöD) in seiner geplanten Form, bringt er erhebliche Nachteile für befristet Beschäftigte und Neueinstellungen im öffentlichen Dienst (ab der nächsten Legislaturperiode werden somit auch alle neu in der Verwaltung des Bundestages Beschäftigten betroffen sein).
Durch den TVöD wird bei Neueinstellungen und bei jeder Verlängerung eines Zeitvertrages jegliche Berufserfahrung ignoriert (die Lohnsteigerung mit dem Alter wird abgeschafft). Die Gehaltseinbußen können bis zu 1300 Euro Brutto im Monat betragen.
Mich würde - unbeschadet aller Tarifvertragsfreiheit - interessieren, wie Sie sich zu dieser Thematik stellen. Außerdem vertritt die Bundesregierung durch das Innenministerium die Arbeitgeberseite im öffentlichen Dienst.
1) Ist es gerecht, dass es im öffentlichen Dienst die große Gruppe der unbefristet Beschäftigten gibt, die bezüglich Arbeitsplatzsicherheit und Gehaltswahrung extrem gut abgesichert ist, während befristet Beschäftigte immer neuen Zumutungen ausgesetzt werden?
2) Ist es gesellschaftspolitisch tragbar, dass die betroffene Gruppe vorwiegend aus jungen Leuten besteht, die sich erst ein Leben aufbauen müssen?
3) Ist es Bildungsökonomisch sinnvoll, dass ausgerechnet hochqualifizierte Personen durch den TVöD benachteiligt werden? Demotivieren solche Rahmenbedingungen nicht weiter den einzelnen, in die eigene Bildung zu investieren. Die OECD hat dies als wichtigen Faktor für unser geringes Wirtschaftswachstum ausgemacht! Und es bleibt zu bedenken, dass der TVöD in ähnlicher Form früher oder später auch von den Ländern übernommen werden wird, womit der komplette Wissenschaftsbetrieb in der Bundesrepublik Deutschland betroffen sein wird.
Ich würde mich über Ihre Stellungnahme, soweit so kurz vor der Wahl möglich, freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Wingerter
Sehr geehrter Herr Wingerter,
vielen Dank für Ihren Eintrag. Vorgestern haben Arbeitgeber und Gewerkschaften den neuen Tarifvertrag (TVöD) für ca. 2,3 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst unterzeichnet. Der neue Tarifvertrag kommt ab 1. Oktober 2005 und löst damit den mehr als vier Jahrzehnte alten Bundesangestelltentarif (BAT) ab.
Sie fragen mich, wie ich dazu stehe, dass bei Neueinstellungen und bei jeder Verlängerung eines Zeitvertrages „jegliche Berufserfahrung“ ignoriert wird.
Es ist richtig, dass die Bezahlung im öffentlichen Dienst künftig nicht mehr vom Lebensalter abhängig sein wird und der Lohn nicht selbstverständlich mit zunehmendem Alter steigt. Ziel ist es, den öffentlichen Dienst für Berufseinsteiger attraktiver zu machen, weil es zuletzt schwierig gewesen ist, junges, motiviertes Personal zu bekommen. Der Lohn orientiert sich sehr wohl an der individuellen Leistung und Berufserfahrung. 15 Entgeltgruppen wurden geschaffen. Der automatische Aufstieg ist dadurch nicht mehr möglich. Ich bin der Meinung, wer mehr Leistung bringt als andere, soll dafür auch belohnt werden.
1) Abgeschafft wird die Entlohnung der Mitarbeiter nach Alter und Familienstand. Befristet Beschäftigte haben insofern keinen besonderen Nachteil gegenüber unbefristet Beschäftigten, da dasselbe Prinzip auch für sie gilt.
2) Jüngere Leute erhalten künftig einfacher die Möglichkeit, in der Gehaltsgruppe aufzusteigen. Hierin sehe ich einen großen Vorteil für Berufseinsteiger.
3) Es ist noch offen, ob das neue Tarifrecht für die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes von den Ländern übernommen wird und der Wissenschaftsbetrieb davon betroffen sein wird. Die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) ist bereits im Frühjahr aus den Verhandlungen ausgestiegen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Prof. E. Jüttner