Frage an Doris Wagner von Reinhard G. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Doris Wagner,
das Bundeskabinett plant Tornados und Bundeswehrsoldaten in den Krieg nach Syrien zu schicken.
Ist dieser geplante Militäreinsatz gegen den IS mit der Regierung in Damaskus abgesprochen?
Falls das nicht der Fall ist: Würde sich nicht der Syrische Staat dadurch angegriffen fühlen? Könnte er dann nicht sein Recht auf (kollektive) Selbstverteidigung nach Artikel 51 der UN-Charta wahrnehmen?
Sollte es nicht Bedingung für solch einen Einsatz sein, dass die Rechtslage eindeutig ist und von allen Seiten auch so anerkannt wird? Könnten nicht sonst auch Militärische Einsätze von anderer Seite die Folge sein?
Wer ist genau für die Anschläge in Paris verantwortlich? Das sollte noch polizeilich aufgeklärt und die Verantwortlichen gefunden werden. Weder Frankreich noch Deutschland sollten in Syrien militärisch aktiv werden! Sind nicht alle Militäraktionen auf dem Territorium eines Staates ohne dessen ausdrückliche Zustimmung völkerrechtswidrig?
Sehr geehrter Herr Großmann,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage.
Ich kann gut verstehen, dass Sie Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bundeswehr-Einsatzes gegen Daesh (den so genannten „Islamischen Staat“) hegen. Ich teile diese Zweifel auf ganzer Linie.
Politisch wie rechtlich ist es wichtig zu unterscheiden zwischen der syrischen Regierung einerseits und Daesh andererseits. Wie Sie wissen, bekämpfen die syrischen Regierungstruppen und Daesh einander.
Die Bundeswehr beteiligt sich nicht an Luftschlägen gegen die syrische Regierung, sondern an Einsätzen gegen Daesh. Da diese Luftschläge aber auf syrischem Territorium erfolgen, verstößt der Einsatz tatsächlich gegen Artikel 2 der UN-Charta, der die Anwendung von Gewalt auf dem Territorium eines anderen Staates grundsätzlich verbietet.
Ein solcher Einsatz militärischer Gewalt auf dem Territorium eines anderen Staates ist völkerrechtlich nur dann zulässig, wenn
a) entweder eine Resolution des UN-Sicherheitsrates vorliegt, die die Gewaltanwendung für rechtmäßig erklärt (Kapitel VII der UN-Charta). Eine solche Resolution liegt jedoch im Falle Syriens / Daeshs bislang nicht vor.
b) oder eine Zustimmung der syrischen Regierung eingeholt worden ist. Tatsächlich beruft sich Russland bei seinen Luftangriffen auf syrischem Territorium auf eine „Einladung“ der syrischen Regierung. Die US-geführte „Koalition“ hingegen, die bereits seit September 2014 Luftangriffe gegen Daesh fliegt, hat die syrische Regierung vorher lediglich „informiert“.
c) oder ein Fall individueller oder kollektiver Selbstverteidigung gegen einen Angriff von außen (nach Art 51 UN-Charta) vorliegt. Auf diese Argumentation stützt sich die französische Regierung bei ihrer Bitte um Unterstützung durch die anderen EU-Staaten. Unklar ist hier allerdings tatsächlich, Sie schreiben es selbst, inwieweit es sich bei den Terroranschlägen in Paris tatsächlich um einen „Angriff von außen“ gehandelt hat.
Die völkerrechtliche Legitimität der Luftschläge gegen Daesh (und damit auch des Einsatzes der Bundeswehr) ist also durchaus fraglich. Allerdings hat bisher weder die syrische Regierung noch einer der Nachbarstaaten (die zum Teil ja selbst Bestandteil der „Koalition“ gegen Daesh sind) gegen die Luftschläge auf syrischem Territorium protestiert. Der Grund ist denkbar einfach: Sowohl der syrische Präsident Assad als auch die Staats- und Regierungschefs der Nachbarstaaten betrachten Daesh als Bedrohung für die eigene Machtposition.
Dieser politische Konsens hat bisher alle rechtlichen Bedenken in den Hintergrund gedrängt. Und das ist sehr gefährlich, da stimme ich Ihnen völlig zu: Wenn wir das Völkerrecht immer wieder überdehnen, wenn wir es so auslegen, wie es uns politisch gerade passt, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn auch andere Staaten (wie zum Beispiel Russland) das Völkerrecht immer freier und den eigenen politischen Zielen entsprechend interpretieren. Das Völkerrecht verliert auf diese Weise dauerhaft an Wirkmächtigkeit.
Ein wichtiger Grundsatz grüner Außen- und Sicherheitspolitik lautet: In den internationalen Beziehungen soll nicht das Recht des Stärkeren gelten, sondern die Stärke des Rechts. Deshalb fordern wir: Dem Einsatz militärischer Gewalt muss immer ein UN-Mandat vorausgehen, das diese Gewaltanwendung eindeutig legitimiert.
Ein solches UN-Mandat liegt im Falle der Luftschläge gegen Daesh wie erwähnt nicht vor. Und das war einer der Gründe, warum ich im Bundestag gegen eine Beteiligung der Bundeswehr an diesen Luftschlägen gestimmt habe.
Mit besten Grüßen,
Doris Wagner