Frage an Doris Achelwilm von Christina B. bezüglich Medien, Kommunikation und Informationstechnik
Sehr geehrte Frau Achelwilm.
Seit Beginn der Corona-Krise verbreiten die Medien täglich neue „Fallzahlen“ des Robert Koch-Instituts und täglich steigen diese Fallzahlen.
Das liegt in der Natur der Sache, es sind ja kumulierte Zahlen, sprich die Summe aller bisher positiv getesteten Menschen.
Festzustellen ist ein psychologischer Nebeneffekt dieser Zahlen: die Bürger im Land werden verunsichert, da stetig steigende Zahlen eine stetig steigende Gefährdung bedeuten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass von politischer Seite eine Panik und Angstmacherei unter den Bürgern Deutschlands gewünscht ist.
Daher frage ich sie, ob sich die Art der Berichterstattung der Medien zu den täglichen Fallzahlen nicht ändern lässt, um weitere Angst und Panik bei der Bevölkerung zu vermindern? Man kann doch sicher eine Regierungsempfehlung an die Medien geben, um eine beruhigendere Form der Berichterstattung zu haben? Zumindest bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, die von der Bevölkerung finanziert werden!
Ein guter Arzt z.B. beruhigt seine Patienten und deren Angehörige mit Hilfe sachlicher Informationen und vermeidet es, die Menschen in Panik zu versetzen.
Zur Zeit gibt es in Deutschland 170.508 „bestätigte Corona-Fälle“ beträgt die Zahl der „aktiven“, also zur Zeit, an Covid-19 Erkrankten jedoch nur 15.775 – also noch nicht einmal ein Zehntel der Gesamtfallzahl – Tendenz seit Ostern stetig sinkend. Warum fristet diese Angabe nur ein Schattendasein und wird in täglichen Nachrichtensendungen nicht vermeldet?
Gemeldet werden die Zahlen zumeist in dieser Form: (aktuelles Bsp aus der Tagesschau)
„Die Zahl der bestätigten Coronavirus-Fälle in Deutschland steigt um 933 auf 170.508, wie Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) für Infektionskrankheiten zeigen. Die Zahl der Todesopfer steigt binnen 24 Stunden um 116 auf 7533.“
also eher Panik machend…
Wäre doch die folgende Meldung sachlich genauso richtig:
„Die Zahl der aktiv am Coronavirus erkrankten und positiv getesteten Bürger in Deutschland sank um 783 auf 15.775, wie Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) für Infektionskrankheiten zeigen. Die Zahl der genesenen Bürger stieg binnen 24 Stunden um 1.600 auf 147.200.“
...was die Bürger beruhigen würde und die Gesellschaft nicht spalten würde. In panische Menschen, die an eine Verschlimmerung der Situation glauben und durch ihre Angst am klaren Nachdenken gehindert werden. Und in Menschen, die anhand ihrer eigenen Denkfähigkeit solch irreführende Meldungen anzweifeln müssen und nicht wissen was sie noch glauben können.
Gerade in Krisenzeiten ist Solidarität sehr wichtig und ich fürchte uns steht viel schlimmeres bevor als „nur“ ein schlimmer Virus, da die Wirtschaft weltweit seit letztem Jahr einbricht und dies Problem durch die Corona.Maßnahmen nun um ein vielfaches verstärkt wurde. Oder wie sehen sie den aktuellen Stand der Dinge?
Während also die Meldung der Tagesschau suggeriert, die Infektionen würden stetig steigen, klärt die zweite Meldung sachlich auf, dass die Zahl der Covid-19-Erkrankten rückläufig ist. Und diese Entwicklung ist bereits seit dem Osterwochenende zu beobachten.
Laut den Zahlen des RKI betrug der Höchststand der aktiv Erkrankten am 7. April immerhin 64.318. Seit dem 11. April sinkt diese Zahl linear.
Insbesondere die Berichterstattung zu der „Reproduktionsrate“ ist aus gleich mehreren Gründen kritisch zu bewerten, diese Zahl bezieht sich auf die „Fallzahlen“.
Da die Fallzahlen jedoch stets aufgrund der Inkubationszeit und des Meldeverzugs „nur“ die Vergangenheit abbilden, werden die fehlenden Daten bei der Berechnung der Reproduktionsrate über intransparente Algorithmen ergänzt.
Wissen sie, wie schlüssig diese Berechnung ist? Sie erschließt sich Außenstehenden leider nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Christina Bauer
Sehr geehrte Frau B.,
vielen Dank für Ihre Zuschrift. Die Corona-Krise stellt Politik und Gesellschaft, Gesundheitssystem, Lohnabhängige, Familien, Forschung, Wirtschaft, Kultur und auch den Journalismus vor völlig neue Herausforderungen. Der gesteigerte Informationsbedarf der Mediennutzer*innen lässt sich an hohen Zugriffs- und Abrufzahlen ablesen. Die Öffentlich-Rechtlichen haben schnell mit einem umstrukturierten Programm, neuen Formaten, Hintergrundberichten zu z.B. epidemiologischen Fragestellungen auf die neue Situation reagiert. Auch freie Redaktionen und Journalist*innen haben in großer Zahl neue Schwerpunkt-Berichterstattungen, eigene Podcasts, Corona-spezifische Infoschienen auf die Beine gestellt. Gleichzeitig ist es so, dass sich viele Medienangebote aufgrund wegbrechender Anzeigen oder veränderter Arbeitssituationen kaum in der Lage sehen, auf die neuen Anforderungen mit ausreichenden Kapazitäten reagieren zu können. Teils befinden sich Medienbetriebe und -tätige in existenziellen Problemlagen, die so nicht absehbar waren. Deswegen fordern wir als LINKE auch, Medienangebote bzw. -Berufstätige, die derzeit in Not geraten, strukturell über die Krise zu helfen. Entsprechende Initiativen haben wir auch in den Bundestag eingebracht. Qualifizierte Information ist unentbehrlich, hängt aber auch von Bedingungen ab, die es ermöglichen, diese Aufgabe, den Aufwand an journalistischer Recherche, Einordnung und Aufbereitung, unter guten Arbeitsverhältnissen zu leisten.
Der Wissensstand in den Redaktionen aktualisiert sich genauso schrittweise und „auf Sicht“, wie das auch in anderen Bereichen bis hinein in die Wissenschaft selbst der Fall ist. Wie viele Faktoren und Ebenen betrachtet werden müssen, spiegelt sich in guter Berichterstattung häufig wieder: Beispielsweise, wenn nicht mehr nur absolute Zahlen von z.B. Neuansteckungen genannt werden, sondern auch Indikatoren wie die Reproduktionszahl und andere Zusammenhänge oder Hintergründe. Fehler lassen sich nicht ausschließen, das Ganze ist ein Lernprozess, der von demokratischer Teilhabe, Kommunikation, Willensbildung und Medienkompetenz abhängt.
Die Medienordnung in Deutschland wurde aus guten Gründen staatsfern organisiert. Es muss sichergestellt sein, dass Medien politisch unabhängig berichten. Ich denke aber, dass ihr Wunsch nach mehr Perspektiven in der Corona-Berichterstattung durchaus bei den betreffenden Redaktionen Gehör findet. Grundsätzlich halte ich es für wichtig, dass die Medienlandschaft gerade unter den aktuellen Herausforderungen in ihrer Vielfalt politisch gestärkt wird, damit Qualitätsansprüchen wie den von Ihnen genannten entsprochen werden kann.
Mit besten Grüßen
Doris Achelwilm