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Frage von Helmut W. •

Frage an Ditmar Staffelt von Helmut W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Dr. Staffelt,

als alter SPD-Wähler, der in Berlin-Neukölln seine Stimme abgegeben hat, habe ich mit dazu beigetragen, dass sie für die SPD im Bundestag sitzen. Deshalb auch meine Frage an Sie, obwohl diese mehr die allgemeine Situation der SPD, als Sie direkt betrifft.

Ist die SPD wirklich so blind wie es aussieht, oder tut Sie nur so?

Zu dieser Fragestellung muss mann kommen, wenn den Umgang mit der Linkspartei betrachtet, wobei meiner Meinung nach vollkommen außer Acht gelassen wird, warum diese Partei so einen Erfolg aufzuweisen hat.
Nachdem unser ehemaliger Kanzler Schröder die SPD regelrecht an die Wand gefahren hat, indem er die Vorschläge des Herrn Harz, (der mit Geldgeschenken Betriebsräte manipulierte) rücksichtslos gegen den Willen vieler SPD Mitglieder durchsetzte, hat er die Linkspartei erst ins Leben gerufen. Die SPD hat seither ca. 250000 Mitglieder verloren. Diese sind zum Teil zu den Linken gegangen.
Wenn jetzt die SPD, Leute wie Franz Müntefehring, der die arbeitnehmerfeindliche Politik Schröders immer noch verdeidigt, wieder zurückholen würde, ginge es mit der SPD noch mehr in den Keller. Die Linkspartei würde dann noch mehr Zulauf bekommen und die SPD in einigen Jahren eingeholt haben. Diese wird dann solange als Juniorpartner der CDU vor sich hinvegetieren, bis die Grünen mit CDU und FDP die Regierung bilden werden. Die Grünen werden dabei allerdings viele Wählerstimmen an die Linken verlieren, aber mit Stimmen aus CDU und FDP-Lager ausgleichen können.
Einen großen Schaden hat natürlich auch das Verhalten der Frau Metzger in Hessen angerichtet, die jetzt von der Springerpresse als "Heldin" gefeiert wird. Ihre Gewissensgründe nehme ich ihr, fast 20 Jahre nach dem Fall der Mauer nicht ab.

Meine Meinung: Sie ist das "Trojanische Pferd" der CDU in der SPD.

Sehr geehrter Herr Dr. Staffelt, ich freue mich auf Ihre Antwort zu meiner Einschätzung der SPD-Situation.

Mit freundlichen Grüßen
H. Wollinger

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Wollinger,

ich freue mich, dass Sie die Entwicklung der SPD verfolgen und sich aktiv mit der Politik auseinandersetzen. Gleichwohl weichen meine Einschätzungen der sozialdemokratischen Erfolge und des Umgangs der SPD mit der Linkspartei von Ihren ab. Auch ich sehe gewisse Defizite in der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Linken. Umso wichtiger ist es nach den Wahlen in Hessen und Hamburg nun deutlich zu machen, wie wir Sozialdemokraten uns gegenüber der Linkspartei positionieren.
Die Landesverbände sollen selbst entscheiden können, mit wem sie zusammenarbeiten. Das haben Präsidium, Parteivorstand und Parteirat so entschieden. Kurt Beck hat jedoch auch zum wiederholten Male deutlich gemacht, dass die Linke für uns im Bund nicht koalitions- und regierungsfähig ist. Diese Aussage ist eindeutig.
Die Linkspartei wurde als Protestpartei gewählt, fühlt und verhält sich auch so. Mit ihrem Einzug in vier West-Parlamente seit 2007 ist es ihr gelungen, auch im Westen parlamentarisch Fuß zu fassen. Die SPD muss dennoch weiterhin das Ziel verfolgen, die Linkspartei politisch klein zu halten. Dabei ist es wichtig, eine offensive inhaltliche Auseinandersetzung mit der Linkspartei zu führen, um populistische rückwärtsgerichtete und damit untaugliche Forderungen aufzudecken. Aber auch der Verharmlosungspolitik in Sachen DDR-Diktatur müssen wir immer wieder entgegentreten. Auch die zweite deutsche Diktatur bedarf der redlichen Aufarbeitung.
Der Rückgang der Mitgliederzahlen in den letzten Jahren, der im Übrigen sämtliche im Bundestag vertretene Parteien betrifft, ist in der Tat sehr bedauerlich, jedoch deutlich geringer als von Ihnen geschildert. Während Sie von 250.000 Mitgliedern sprechen, sind es nach unseren Erkenntnissen weniger als die Hälfte. Ich glaube, dass es notwendig ist, dass die Parteien sich stärker öffnen, sich modernisieren und sich den neuen Herausforderungen und auch den neuen Chancen der globalisierten Welt stellen – und um das Wort von Hans-Jochen Vogel zu nennen, sich stetig darum bemühen, Reden und Handeln in Übereinstimmung zu bringen, weil die Glaubwürdigkeit ein sehr hohes Gut ist. Um wieder Vertrauen und Akzeptanz bei den Wählerinnen und Wählern zurückzugewinnen, ist es meiner Ansicht nach aber eben so wichtig, Erfolge herauszustellen, in unserem Falle die Erfolge sozialdemokratischer Regierungspolitik, die die rot-grüne aber auch die große Koalition nicht zuletzt unter Federführung der sozialdemokratisch geführten Ministerien vorzuweisen haben.
Entgegen ihrer Kritik glaube ich, dass die Schrödersche Agenda 2010 unserem Land den Weg in die Zukunft geebnet hat. Dabei sollte die Agenda 2010 nicht auf die Hartz-Reformen beschränkt werden. Aufgrund der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lage vor fünf Jahren bedurfte es eines sehr viel breiteren und anspruchsvolleren Konzeptes zur Erneuerung unseres Landes – eines Konzeptes, das fähig war, der Realität der fortschreitenden Globalisierung politisch Rechnung zu tragen. Niemand kann wegdiskutieren, dass unsere sozialen Sicherungssysteme durch die demographischen Veränderungen an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gekommen waren, dass der Arbeitsmarkt modernisiert, der Haushalt saniert und vor allem in die Zukunft investiert werden musste, um Wettbewerbsfähigkeit und dadurch Wohlstand der Bürgerinnen und Bürger dauerhaft erhalten zu können. Wir haben damit Versäumnisse von sechzehn Jahren Kohl-Regierung sorgsam aufgearbeitet und Deutschland in die richtige Richtung bewegt.
Bei allen bestehenden Problemen kann sich die heutige Zwischenbilanz sehen lassen: Ein höheres Wirtschaftswachstum, sinkende Arbeitslosigkeit, stabilere soziale Sicherungssysteme, rückläufige Neuverschuldung, mehr Geld für Kinderbetreuung, mehr Investitionen in Bildung und Forschung und damit Investitionen für zukünftige Generationen.
Wir haben damit begonnen, 4 Milliarden Euro für die Ganztagsbetreuung von Kindern zur Verfügung zu stellen. Wir haben die Kommunen um 1,5 Milliarden Euro entlastet, um die Betreuung der Kinder unter 3 Jahren auszubauen. Wir wollen damit die Bildungschancen für alle verbessern und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern. Seit 2003 haben wir bislang knapp 6.400 Ganztagsschulen eingerichtet.
Wir haben den Pakt für „Forschung und Innovation“ ins Leben gerufen, der den großen Forschungsorganisationen bis zum Jahr 2010 einen jährlichen Mittelzuwachs von drei Prozent zur Verfügung stellt. In diesem Jahr sind es 9,3 Milliarden Euro. Mit dem Pakt haben wir einen entscheidenden Prozess eingeleitet, der zur Sicherstellung der innovativen Forschung in Deutschland beiträgt.
Im Rahmen der Agenda 2010 haben wir zudem eine Menge für den Ausbildungsmarkt getan, beispielsweise das Programm „JUMP Plus“ aufgelegt und viele Jugendliche durch spezielle Vermittlung der Bundesagentur für Arbeit in Ausbildungen gebracht. 2003 wurden 557.634 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen, 2007 waren es 625.900. 516.000 Jugendliche unter 25 waren 2003 arbeitslos, vier Jahre später waren es 405.000.
Hunderttausende von Sozialhilfeempfängern konnten wir aus dem Schattendasein der Arbeitslosigkeit herausholen. Bezieher von Arbeitslosengeld II sind in den Schutz der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung einbezogen. Das Prinzip „Fördern statt Fordern“ bildet dabei die Grundlage unserer Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Gleichzeitig haben wir Betriebsgründungen und -übernahmen im Handwerk erleichtert. Erfahrene Gesellen können inzwischen in fast allen Handwerksberufen ohne Meistertitel einen eigenen Betrieb gründen. Das schafft neue Arbeitsplätze. 2003 betrug die Arbeitslosigkeit im Durchschnitt 4,38 Millionen, 2007 waren es 3,78 Millionen (im März 2008 3,507 Millionen). Die Zahl der Erwerbstätigen stieg im selben Zeitrum um eine Million auf 39,7 Millionen. Im Bereich Steuern und Sozialversicherung hat die Agenda 2010 die Weichen zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger gestellt. Den Eingangssteuersatz konnten wir von 19,9 Prozent auf 15 Prozent senken. Die Sozialversicherungsbeiträge liegen nun bei 39,7 Prozent, nach gut 42 Prozent im Jahr 2003.
Nicht zuletzt wegen der Erfolge der ambitionierten Reformen konnte Deutschland eine Trendwende bei der Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes erzielen. Ging das Wirtschaftswachstum seit 2000 stetig zurück, so dass das BIP im Jahr 2003 sogar leicht schrumpfte, zeigte sich die deutsche Wirtschaft 2006 und 2007 auch aufgrund der Agenda-Reformen mit 2,5 Prozent Wachstum gut erholt. Ebenfalls positiv lässt sich die deutlich geringere Neuverschuldung herausheben. 2003 lag die Neuverschuldung des Bundes bei 38,6 Milliarden Euro. Im letzten Jahr hingegen nahm der Bund nur noch 14,3 Milliarden Euro an Schulden auf.
Nicht nur Kurt Beck und die SPD werten den eingeleiteten Reformkurs als großen Erfolg, auch unabhängige Wirtschaftsinstitute wie etwa das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ziehen eine positive Bilanz der Agenda 2010. Sie mahnen an, die Reformpolitik der Agenda 2010 fortzusetzen, um Deutschland weiter fit für die Zukunft zu machen.
Im Hinblick auf Hessen, ist es schwierig, von Berlin aus eine Entscheidung zu treffen. Gleichwohl teile ich nicht Ihre Auffassung zur Abgeordneten Metzger. Auch 20 Jahre nach dem Fall der Mauer kann ich eine Politikerin gut verstehen, die Gewissensnöte gegenüber einer Regierungsbildung mit Hilfe der Linkspartei offen benennt. Erst recht, wenn sich immer wieder herausstellt, dass die PDS auch im Westen auf alte DKP-Kader unter ihren Kandidaten zurückgreift. Ich weise auch darauf hin, dass Frau Metzger bei der offiziellen sozialdemokratischen Aussage vor der Wahl, nicht mit der Linkspartei zu kooperieren, geblieben ist. Dafür kann ich sie aus meiner Sicht nicht verurteilen und sie schon gar nicht zum Trojanischen Pferd der CDU erklären. Ich finde es bemerkenswert, dass sie den Mut gezeigt hat, mit offenem Visier, diese Diskussion zu führen. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass Frau Metzger in Hessen nach Artikel 76 der Landesverfassung ihre freie und ungehinderte Entscheidung verfassungsrechtlich auch zusteht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Ditmar Staffelt