Frage an Dietmar Nietan von Joe B. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Nietan,
angesichts der sehr leeren Rentenkasse habe ich eine Frage im Bezug auf Ihre Einstellung/Meinung zu Ihren eigenen Rentenansprüchen als Mitglied des deutschen Bundestages.
Ihrem Lebenslaufe entnehme ich das Sie weder eine abgeschlossenen Berufsausbildung, noch ein Studium abgeschlossen haben (obwohl Sie lange Jahre die Einrichtungen der vom Staat d.h. von Steuerzahlern bereitgestellten Einrichtungen benutzt haben). Wenn Sie dann, was ich nicht hoffen möchte, auch in den nächsten Bundestag einziehen, steht Ihnen nach dem von Abgeordenten selbst verabschiedeten Gesetz, ein voller und üppiger Rentenanspruch zu, ohne das Sie jemals entsprechende Beiträge einbezahlt haben.
Finde Sie dieses Verhalten sozial gerecht, ausgewogen und vertretbar, vor allem mit dem Hintergrund das Sie Mitglied einer Sozialdemokratischen Partei sind?
Desweiteren würde mich ein einziges Argument interessiern warum Sie als Abgeordener keinerlei Beiträge in andere Sozialkassen wie z.B.Arbeitslosenkasse zahlen, wiederum aber bei einer Abwahl, mehr als großzügige Übergangsgelder kassieren.
Haben Sie vielleicht Verständnis wenn Bürger, die selber lange Jahre lang fleissig in dieses System einzahlen, Ihre Verhalten als unsozial ja vielleicht als assozial betrachten?
Mit freundlichem Gruss
Joachim Bildstein
Steuer- und Sozialkassenzahl
Lieber Herr Bildstein,
vielen Dank für Ihre Mail zur Frage der Pensionsansprüche von Bundestagsabgeordneten.
Fast die gleichen Fragen haben Sie mir bereits im Jahre 2002 per Mail gestellt. Aber ich beantworte sie gerne noch einmal. Sie geben mir so die Gelegenheit - auch hier bei www.kandidatenwatch.de - eine Reihe von groben Vorurteilen aufzuklären, die über die Diäten der Abgeordneten in der Öffentlichkeit kursieren.
Was Sie meinem Lebenslauf meinen entnehmen zu müssen, dazu folgendes: Wenn man wie ich seit seinem 16 Lebensjahr in der Politik engagiert ist, dort die gesamte Freizeit verbringt, kann man es sich nicht aussuchen, wann man aus dem Studium heraus vom Dürener Bürger mehrheitlich direkt gewählt wird. Das Dürener Wahlbürgertum hat mich als ersten Sozialdemokraten im Kreis Düren 1998 direkt mit der Mehrheit der Erststimmen in den Bundestag gewählt. Und auch wenn es Sie persönlich sehr verbittern mag, waren die Wählerinnen und Wähler im konservativen Kreis Düren mit meiner politischen Arbeit so zufrieden, dass sie mich (gegen den Trend) 2002 einer zweiten Wahlperiode für würdig befanden und erneut mit der Mehrheit der Erststimmen in den Bundestag wählten.
Und so werden auch im Jahre 2005 die Bürgerinnen und Bürger entscheiden, ob sie mich wieder wählen. Das ist Demokratie und das ist gut so…
Als Mitglied des Deutschen Bundestages vertrete ich jeweils für die Dauer von vier Jahren den Willen des ganzen Volkes und bringe die unterschiedlichsten Interessen aller BürgerInnen in die Parlamentsdiskussion ein. Das bedeutet vor allem Verantwortung - für Gesetzgebung und Staatshaushalt, Regierungsbildung und demokratische Kontrolle. Wer ins Parlament will, um möglichst viel Geld zu verdienen, sollte lieber anderwärts Karriere machen. Aber: Sie sollten sich von niemandem einreden lassen, dass die Vertretung Ihrer Interessen nichts wert sein darf.
Was das Steuerzahlen anbetrifft, müssen Abgeordnete ihre Diäten genauso versteuern wie jeder Arbeitnehmer auch. Darüber hinaus bestimmt das Grundgesetz (Art. 48, Abs. 3), dass Abgeordnete einen Anspruch auf angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung haben. Das Bundesverfassungsgericht hat 1975 festgestellt, dass dabei auch die Tatsache berücksichtigt werden muss, dass sie "Vertreter des ganzen
Volkes" sind.
1977 entsprachen die Diäten mit damals 7.500 DM den Einkünften eines kommunalen Wahlbeamten auf Zeit, oder der eines Richters. Seither sind Löhne, Einkommen und Lebenshaltung deutlich gestiegen, während die Abgeordneten - auch wegen der öffentlichen Schelte an Politikern - mehrmals Nullrunden eingelegt haben. Deshalb sind die Diäten – obwohl es mittlerweile stattliche 6.980 € sind - weit hinter der allgemeinen Einkommensentwicklung zurückgeblieben. Es gibt z.B. weder ein 13. Monatsgehalt noch Urlaubs- und Weihnachtsgeld bzw. Familienzuschläge.
Wir leisten umfängliche freiwillige Beiträge an Partei und gemeinnützige Organisationen. Trotzdem bin ich für weitere Null-Runden bei den Diäten, um ein Zeichen zu setzen, dass wir Abgeordneten auch bereit sind, bei uns selbst zu sparen.
Übrigens: Abgeordnete haben immer zwei Arbeitsplätze. Einen in Berlin, wo die Sitzungswoche einen hohen Termindruck bedeutet. Denn der Schwerpunkt der Parlamentsarbeit liegt nicht in den im Fernsehen übertragenen Plenardebatten, sondern in einer Fülle von Sitzungsterminen - Ausschuss- und Fraktionsberatungen, Besuchergruppen, Pressegespräche, öffentliche Diskussionen, Referate auf Kongressen, Termine in Ministerien und Briefe, Briefe. Wenn dann das Wochenende beginnt, fängt die Arbeit im Wahlkreis erst richtig an: Bürgersprechstunden, kommunale Probleme, Wirtschaftsförderung, Vereine und Ehrenamt, Beschwerden, Anregungen und Wünsche prüfen, Kontakt halten, auch privat eine "öffentliche Person" sein, unter ständiger Beobachtung.
Weil ein MdB auch im Wahlkreis keinen Arbeitgeber hat, der Büro und Telefon stellt, Reisekosten abdeckt und Kilometergeld zahlt, und weil eine Einzelabrechnung aufwendiger wäre, gibt es die Kostenpauschale. Sie beträgt zurzeit 3.589 € monatlich und wird zum 1.1. eines jeden Jahres entsprechend den Lebenshaltungskosten angehoben. Auch die Kosten für eine zweite Wohnung in Berlin oder die Miete für ein Wahlkreisbüro werden aus dieser Pauschale bezahlt. Höhere Ausgaben werden aber weder erstattet, noch können sie steuerlich abgesetzt werden. Es gibt für uns keine "Werbungskosten".
Auch in Zukunft werden die Parlamentarier selbst über die Diäten entscheiden müssen. Nicht weil sie sich nicht in die Karten schauen lassen oder sich selbst bedienen wollen, sondern weil dies das Verfassungsgericht so entschieden hat.
Jetzt zu Ihrer „Rentenfrage“. Auch wenn ich es Ihnen schon vor fast drei Jahren schon einmal geschrieben habe, will ich es gerne heute noch einmal wiederholen: Ich hätte nichts dagegen, Abgeordnete, wie Manager in der freien Wirtschaft zu bezahlen und dann die Pensionsansprüche zu streichen. Dann müsste jeder Abgeordnete eigenverantwortlich für seine Alterssicherung sorgen. So sieht es jetzt z.B. die neue Regelung im Landtag von NRW vor.
Nun zu Ihrer Frage nach Argumenten, warum ich als Abgeordneter nicht in die Sozialkassen einzahle. Gerne erkläre ich Ihnen noch einmal kurz das zentrale Prinzip der Sozialversicherungen: Wer etwas einzahlt, hat ein RECHT darauf entsprechend auch im Bedarfsfall etwas ausgezahlt zu bekommen.
Mir steht nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag kein Arbeitslosengeld zu. Hätte ich eingezahlt, würde ich ja rund zwei Drittel meines letzen Gehalts ein Jahr lang als Arbeitslosengeld bekommen. Angesichts dieser Summen aus der Arbeitslosenversicherung, die ich dann kassieren würde, würden Sie, lieber Herr Bildstein, sich wahrscheinlich noch mehr beschweren, als Sie es jetzt ohnehin schon tun.
In die Rentenkasse zahle ich nicht ein, weil mir eine Pension zusteht. Auch wenn ich hier für eine andere, wie ich meine gerechtere Lösung bin (siehe oben), können Sie mich jetzt nicht dafür rügen, dass ich bisher im Parlament für meine Auffassung noch keine Mehrheit habe, die diese gerechtere Lösung beschließt.
Und auch wenn Sie es nicht glauben mögen: Ich zahle 589 € Beitrag für meine Krankenversicherung und meine Pflegeversicherung. Und mein Arbeitgeber, der Staat zahlt mir dazu einen Zuschuss von 265 €. Da ich in der gesetzlichen Krankenversicherung bin, zahle ich auch brav meine 10 € Praxisgebühr, die uns die CDU als Bedingung für die Zustimmung im Bundesrat beim Gesundheitskompromiss aufs Auge gedrückt hat.
Dann ist da noch das Übergangsgeld. Sein Zweck ist es, den Abgeordneten nach dem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag eine Rückkehr in den Beruf zu ermöglichen. Denn wer ein Bundestagsmandat annimmt, gibt regelmäßig für eine ungewisse Zeit seinen Beruf auf. Andere Bürger fördern während dieser Zeit ihre Karriere, bauen eine selbständige Existenz auf. Abgeordnete verzichten darauf, ohne zu wissen, ob sie wieder gewählt werden oder in ihren Beruf zurückkehren können. Sie erhalten bei Ausscheiden aus dem Bundestag weder Arbeitslosengeld, noch Umschulung oder Arbeitsvermittlung. Für jedes Jahr der Parlamentszugehörigkeit wird ein Monat Übergangsgeld in Höhe der aktuellen Diäten gezahlt, insgesamt längstens für 18 Monate. Ab dem zweiten Monat werden alle sonstigen Einkünfte, auch private, auf das Übergangsgeld angerechnet.
Nach all diesen umfangreichen Ausführungen wird es Sie nicht überraschen, dass ich Ihre Frage, ob mein Verhalten asozial ist, nur mit einem klaren NEIN beantworten kann.
Ich arbeite oft 100 Stunden pro Woche, jeder Schritt von mir ist von öffentlichen Belang (Wenn Sie z.B. Ihren Führerschein wegen Alkohol am Steuer verlieren, würde das am nächsten Tag nicht mit Bild groß in der Zeitung stehen). Ich mache sicherlich viele Fehler, doch ich bemühe mich redlich etwas Gutes für die Menschen zu tun. Auch wenn ich keinen Studienabschluss habe, kann ich sagen, dass ich für meine hohen Diäten härter arbeite, als manch ein Manager in der freien Wirtschaft für das doppelte Gehalt.
Ich schäme mich meiner Arbeit nicht. Und ich erhalte viel Zuspruch von Menschen, die der Meinung sind, dass ich sie wohl ganz gut mache.
Kein Grund zur Selbstzufriedenheit – eher zu Dankbarkeit und Demut.
Das mag Ihnen alles nicht gefallen, aber Sie sollten mir wenigstens in allen Ihren vielen teilweise sehr herablassenden Mails, die Sie mir in all den Jahren haben zukommen lassen, mit wenigstens dem Mindestmaß an Respekt begegnen, mit dem man jedem Mitmenschen begegnen sollte.
Ihr
Dietmar Nietan, MdB