Frage an Dietmar Nietan von Herbert T. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Herr Nietan,
ein Zitat von Verteidigungsminister de Maizière (CDU) hat mich aufschrecken lassen.
"Wir müssen uns als deutsche Gesellschaft jetzt auch wieder daran gewöhnen,
daß versehrte Menschen aus dem Afghanistan-Einsatz ins Straßenbild gehören.”
Bundeswehrminister Thomas de Maizière (CDU) in Bild am Sonntag
Sie selber stimmen jedem Einsatz der Wehrmacht seit Jahren kritiklos zu, den seit > mehr als 10 Jahren dauernden Krieg in Afghanistan rechtfertigen Sie aufs schaerftste, und dass selbst vor Schuelern.
Ist ein Militarisierung der deutschen Zivilgesellchaft das unaugeprochene Ziel der politischen Klasse um uns auf die Verteilungskriege der Zukunft vorzubereiten? Oder geht um die Interessen der Ruestungsindustrie?
Ihre Meinung als Parlamentarier und Wehrdienstverweigerer wuerde mich interessieren.
Herbert Thelen
Sehr geehrter Herr Thelen,
gerne beantworte ich Ihre Frage.
In dem von Ihnen zitierten Interview aus der BILD am Sonntag vom November 2011 weist Bundesverteidigungsminister de Maziere darauf hin, dass deutsche Soldatinnen und Soldaten versehrt aus dem Afghanistan-Einsatz zurückkehren. Dies darf nicht totgeschwiegen werden. Im Gegenteil, die versehrten Soldatinnen und Soldaten gehören zu unserer Gesellschaft. Wir müssen Ihnen mit Respekt und aller nötigen Unterstützung begegnen. Den Vergleich mit dem Straßenbild aus der Zeit nach 1945, den der Verteidigungsminister heranzieht, finde ich offen gesagt unglücklich gewählt, denn die Dimensionen stellen sich doch anders dar. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie auch um eine sachliche Debatte bitten - unsere Bundeswehr als "Wehrmacht" zu bezeichnen, trägt dazu sicherlich nicht bei.
Sie haben recht: ich habe das Afghanistan-Mandat im Bundestag immer unterstützt. Gleichzeitig kann ich Ihnen versichern, dass es weder mir noch den mir bekannten Kolleginnen und Kollegen leicht fällt, solche Entscheidungen zu treffen. Wir wissen, dass die Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan vielen Gefahren ausgesetzt sind. Wir wissen auch, dass die Situation in Afghanistan sich nicht in allen Punkten so entwickelt hat, wie es sich die internationale Gemeinschaft erhofft hat. Dennoch habe ich den Einsatz immer für richtig gehalten, um Afghanistan zu stabilisieren, der Bevölkerung vor Ort Sicherheit vor den radikalislamischen Gruppierungen zu gewährleisten und den Aufbau einer afghanischen Zivilgesellschaft nach freiheitlich-demokratischen Werten zu unterstützen.
Die SPD hat sich gleichzeitig für einen geordneten Abzug der ISAF-Truppen aus Afghanistan bis 2014 stark gemacht. Ich stand voll hinter dem 10-Punkte-Plan für Afghanistan von Frank-Walter Steinmeier vom Herbst 2009, der sich als einer der ersten dafür aussprach, den Abzug aus Afghanistan zu planen. 2010 habe ich der Verlängerung des Mandates nur zugestimmt, weil die Bundesregierung auf Druck der SPD die Perspektive für den Abzug mit aufnahm. Der Abzug darf aber auch nicht überstürzt werden. Er muss im Interesse der afghanischen Bevölkerung und unserer Soldatinnen und Soldaten Schritt für Schritt erfolgen. Für die Zeit nach dem Abzug ist ein Mandat für eine Internationale Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission geplant. Ich bin für eine solche Verstärkung des zivilen Engagements in Afghanistan.
Mir ist der Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern zu diesen Themen immer sehr wichtig. So habe ich beispielsweise 2010 im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung in meinem Wahlkreis intensiv mit Bürgerinnen und Bürgern zum Thema Afghanistaneinsatz debattiert. Die Begegnung mit Kritikern des Einsatzes scheue ich nicht, wie beispielsweise mit der Gruppe Pax Christi in meinem Wahlkreis (Bericht der Pax-Christi-Gruppe Düren vom Januar 2010 siehe hier: http://paxchristi-aachen.de/medien/4e235372-6caa-495a-abec-8b062ee924c3/19januar.pdf )
Im Übrigen ist Ihre Aussage falsch, dass ich jedem Einsatz kritiklos zustimme. So habe ich seit meinem Wiedereinzug in den Bundestag 2009 gegen die Verlängerung des Mandats "Enduring Freedom" gestimmt. Zudem habe ich 2003 zu denen gehört, die sich vehement gegen den Militärschlag der US-Regierung unter George W. Bush gegen den Irak ausgesprochen haben.
Abschließend kann ich Ihre Befürchtung hinsichtlich einer Militarisierung der deutschen Gesellschaft kaum nachvollziehen. Allein schon die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht deutet doch auf das Gegenteil hin. Ich habe vielmehr den Eindruck, dass sich die deutsche Bevölkerung in hohem Maße dem Frieden und der Demokratie verpflichtet fühlen. Gleichzeitig ist auch in der Bevölkerung das Bewusstsein vorhanden, dass Deutschland als starkes und friedliebendes Land auch international Verpflichtungen übernehmen und Sicherheit gewährleisten muss. Dazu kann auch die Entsendung deutscher Soldaten in Krisengebiete gehören - immer im Rahmen und im Zusammenwirken mit unseren Partnern in UN, EU und NATO.
Mit freundlichen Grüßen
Dietmar Nietan, MdB