Frage an Dietmar Nietan von Ina P. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Lieber Dietmar,
anhängenden Link empfehle ich Dir zur Information, bevor Du über den ESM-Vertrag abstimmst.
Ich hoffe, Du bist nach der Lektüre ein ebenso entschiedener Gegner dieses Vertrages wie ich und wirst gegen ihn stimmen. Du wurdest gewählt, um die Interessen unseres Landes zu unserem Wohl und dem Wohl unserer Kinder zu vertreten, nicht um es zu verkaufen und ausbeuten zu lassen. Wie stehst Du zum ESM-Vertrag?
http://www.goldseiten.de/content/diverses/artikel.php?storyid=17136
Mit freundlichem Gruß
Ina Pelzer-Trinius
Liebe Ina Pelzer-Trinius,
Vielen Dank für die an mich gestellte Frage. Den von Dir empfohlenen Artikel habe ich aufmerksam gelesen. Leider wurde darin der für Mitte 2013 geplante europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) nur unzureichend erläutert und teilweise sehr einseitig dargestellt. Auf Grund der fehlenden Aufklärung seitens der Bundesregierung ist es verständlich, dass ein solcher Artikel zu Verunsicherung führen kann. Der ESM soll die Aufgaben der zeitlich befristeten Instrumente EFSF und des Gemeinschaftsinstrumentes EFSM übernehmen. Vor allem aber soll er ein vorher verabredetes, insbesondere für die Märkte transparentes Regelwerk für den Umgang mit zukünftigen Staatsschuldenkrisen in der Eurozone bieten.
Unterstützung durch den ESM wird weiterhin ausschließlich unter engen Bedingungen gewährt. Es bedarf der strikten Konditionalität im Rahmen eines wirtschaftlichen Reform- und Anpassungsprogramms, der Gefährdung der Stabilität der Eurozone insgesamt sowie einer positiven Schuldentragfähigkeitsanalyse durch die Europäische Kommission, den IWF und die EZB. Einer „ungehemmten Schuldenmacherei“ bietet der ESM somit keinen Ansporn. Und es gilt auch weiterhin das Prinzip: Solidarität nur gegen entsprechende Eigenanstrengungen des betroffenen Landes. Nur dann erhält das betroffene Land Kredite, die selbstverständlich verzinst zurückzuzahlen sind und deshalb auch keine Transfers darstellen.
Der ESM verfügt in der Tat über einen Gouverneursrat. Dieser wird jedoch aus den Finanzministern der Eurozonen-Mitgliedstaaten gebildet und nicht von dritter Stelle anonym ernannt. Wesentliche Entscheidungen einschließlich der Gewährung von Finanzhilfen werden einstimmig durch die Finanzminister der Eurozonen-Mitgliedstaaten im Gouverneursrat getroffen. Somit hat Deutschland, wie jedes andere Land, ein Vetorecht bei der Gewährung von Finanzhilfen. Von einem unlimitierten Zugriff auf nationale Haushalte kann somit nicht die Rede.
Zurzeit wird der bis 2013 befristete Rettungsschirm EFSF im Deutschen Bundestag beraten. Hierbei ist entscheidend, dass die europäischen Maßnahmen funktionieren und die Beteiligung des Deutschen Bundestags gesichert ist. Der erste zeitweilige Rettungsschirm wurde im Juni 2010 beschlossen. Nach dem dazugehörigen Begleitgesetz (StabMechG) musste sich die Bundesregierung bislang nur um Einvernehmen mit dem Haushaltsausschuss bemühen. Das Bundesverfassungsgericht hat am 7. September 2011 in seinem Urteil die Hilfe für Griechenland und den zeitweiligen Rettungsschirm EFSF für zulässig erklärt, jedoch Auflagen zur Beteiligung des Deutschen Bundestages gemacht. Diese Änderungen werden im StabMechG geregelt, das sich noch in den parlamentarischen Beratungen befindet. Wenn einem Staat Hilfen gewährt werden sollen, wird das Parlament aktiv zustimmen müssen. Es wird also keine Aushöhlung des Budgetrechts des Deutschen Bundestages geben.
Da die Beteiligung des Deutschen Bundestages bezüglich des ESM ja im Mittelpunkt Deiner Frage stand, vielleicht noch folgende Zusatzinformationen: Verbindliche Vereinbarung zum Modus der parlamentarischen Beteiligung des deutschen Parlamentes sind noch nicht getroffen. Denn auf europäischer Ebene wird aktuell neu verhandelt. Das oben schon erwähnte Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 07.09.2011 macht aber deutlich, dass eine Beteiligung in jedem Fall gegeben sein wird. In der SPD-Fraktion wird beispielsweise über die Einrichtung eines Sonderausschusses innerhalb des Deutschen Bundestages beraten, der mit den Aufgaben, die sich aus der Arbeit der Rettungsschirme und der verstärkten Koordinierung ergeben, betraut wäre. Dieser Sonderausschuss könnte aus Mitgliedern des Haushaltsausschusses und Mitgliedern des Europa-Ausschusses, ggf. auch Vertretern weiterer fachlich zuständiger Ausschüsse bestehen. Europäische Weichenstellungen sollten unserer Meinung nach nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden. Ein Sonderausschuss könnte daher durch ein erhöhtes Maß an Transparenz die Akzeptanz in der Bevölkerung für europäische Maßnahmen fördern und trotzdem zeitnahe Entscheidungen, die immer wieder erforderlich sein werden, garantieren.
Dieses stellt – wie erwähnt - eine mögliche Beteiligung des Bundestages dar, über das Ergebnis kann ich noch keine Aussage treffen. Aber eines steht für mich als Abgeordneter fest: die Kontroll- und Mitbestimmungsrechte werden aber auf jeden Fall gewahrt sein. In welcher Form wird sich in den nächsten Wochen entscheiden.
Die Zustimmung der SPD zum dauerhaften Rettungsschirm, also dem ESM-Vertrag, hängt von der Vorlage ab, die dem Deutschen Bundestag übermittelt wird. An diesen Beratungen wird sich die SPD-Bundestagsfraktion sehr aktiv und konstruktiv beteiligen. Es geht hier um die Zukunft des gesamten europäischen Projektes, weshalb uns mit einer verkürzten, rhetorischen Polarisierung auf keiner Seite geholfen ist.
Mit freundlichen Grüßen
Dein Dietmar Nietan