Frage an Dietmar Bell von Samuel Maria K. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Bell,
nach den beiden heutigen Abstimmungen im Landtag zur Umsetzung der Inklusion dürften meine bisherigen Fragen zum Thema nun konkret beantwortet werden können. Da Sie mich in einer früheren Antwort aufgefordert hatten, nicht die Wahrheit über die Folgen der von der rot-grünen Regierung verfolgten Politik öffentlich auszusprechen, zitiere ich nun aus den Medien:
"Die Kritik ist verheerend. Dutzende Experten haben am Mittwoch (05.06.2013) im Landtag Stellung zum Inklusionsgesetz genommen. Einhelliger Tenor: Für das gemeinsame Lernen behinderter und nicht behinderter Schüler fehlen die Voraussetzungen. Die Städte befürchten gar das Scheitern der Inklusion. ... bis Donnerstagmittag (06.06.2013), stellen sich die Experten den Fragen dreier Landtags-Ausschüsse und können ihrerseits sagen, was sie von dem geplanten Inklusionsgesetz der Landesregierung halten. ... Das Gesetz sei lückenhaft und unzureichend. Es fehlten noch etliche Voraussetzungen. ... Zum Beispiel bei der Frage der Klassengrößen. Mehrere Experten forderten, dass in inklusiven Klassen nicht mehr als 20 bis 26 Kinder unterrichtet werden dürften. Außerdem sollten die Klassen immer von einem Doppelteam aus Lehrer und Sonderpädagoge betreut werden. Dafür allerdings fehle es an Fachkräften. Das bemängelt so gut wie jeder der geladenen Experten. Die Lehrer-Fortbildung verlaufe zu schleppend. Es müsse eine Pflicht zur Fortbildung geben, fordert der Verband Lehrer NRW." (Quelle: WDR.de/Politik/Inklusion)
Kein Geld für die Umbaumaßnahmen, kein Modul zur Inklusion in der Lehrerausbildung, zu wenig Fortbildungen, Klassengrößen, die inklusiven Unterricht verunmöglichen, viel zu wenige Sonderpädagogen, die zudem noch zwischen den Schulen "hin- und herhoppen" müssen. Wie wollen Sie bei diesem Dilettantismus im Gesetzgebungsverfahren verhindern, dass Kinder mit Behinderung nicht zukünftig in der inklusiven Schule unter die Räder kommen?
Mit freundlichen Grüßen
Samuel Maria Karbe
Sehr geehrter Herr Karbe,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage zur Umsetzung der schulischen Inklusion in Nordrhein-Westfalen, die ich gerne wie folgt beantworte:
Lassen Sie mich, bevor ich im Einzelnen auf Ihre Punkte eingehe, die folgende Information voranstellen:
Den Inklusionsprozess in NRW gib es bereits seit 30 Jahren – damals noch unter dem Namen der Integrativen Lerngruppe. Es wäre daher falsch so zu tun, als würden die Schulen des Landes bei Null beginnen und müssten zum Schuljahr 2014/15 in einer Hauruck-Aktion Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf aufnehmen. Richtig ist: Ein Viertel der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf besuchen bereits eine weiterführende Regelschule. In der Grundschule ist es bereits ein Drittel der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf.
Hinzu kommt, dass nicht jede Schule zum Schuljahr 2014/15 eine Inklusionsschule wird. Vielmehr handelt es sich um einen voranschreitenden Prozess der durch den Elternwunsch bestimmt wird. Kommunen können den Prozess durch die Bildung von Vorreiterschulen – so genannte Schwerpunktschulen – begleiten.
1. Umbaumaßnahmen
Derzeit befindet sich das Land in Verhandlungen mit den kommunalen Spitzen. Hierbei ist zu prüfen, welche Aufgaben tatsächlich konnexitätsrelevant sind. Bislang konnten die Kommunen hierzu keine belastbaren Zahlen vorlegen. Die Gespräche zwischen dem Land und den kommunalen Spitzen soll Ende Januar beendet sein.
2. Lehrerausbildung, Sonderpädagogen und Fortbildung
Lehramt für sonderpädagogische Förderung:
Die Ausbildungskapazitäten an Hochschulen wird sukzessive angepasst. Im Haushaltsplan 2013 wurden hierfür zusätzliche 4,6 Mio. eingestellt – in den Folgejahren bis 2018 werden diese Mittel auf jährlich 21,16 Mio. ansteigend. Das entspricht 500 zusätzlichen Studienplätzen.
Berufsbegleitende Fortbildungen, insbesondere für Lehrkräfte an allgemeinen Schulen:
11,9 Mio. Euro werden für Qualifikationen bereits seit dem 1. Februar 2013 bis 2018 bereitgestellt. In zehn Durchgängen werden insgesamt 2.500 Lehrkräfte fortgebildet.
Zusätzlich werden derzeit mehr als 300 ModeratorInnen der 53 Kompetenzteams für die Lehrerfortbildung für das Thema Inklusion qualifiziert. Sie können von den Schulen für Fortbildungen gebucht werden.
Hier ist ein guter Weg eingeschlagen worden. Dennoch ist es richtig, dass die Lehrerausbildung den Anforderungen entsprechend fortentwickelt werden muss. Die Fortbildung bereits unterrichtender Lehrerinnen und Lehrer ist im Haushalt berücksichtigt.
3. Klassengrößen
Im Rahmen des Schulkonsenses ist vereinbart worden die Klassengrößen schrittweise abzusenken. Der Klassenfrequenzrichtwert an Grundschulen beträgt im Haushaltsjahr 2014 23 und im Haushaltjahr 2015 erfolgt die letzte Absenkung auf 22,5. Insgesamt sind damit für die Maßnahme ‚Kleine Grundschulen‘ und die Absenkung der Klassenfrequenzrichtwerte 1.700 Stellen zur Verfügung gestellt worden.
Ebenfalls vereinbart wurde die Herabsenkung des Klassenfrequenzrichtwertes an Realschulen, Gymnasien und Gesamtschulen von derzeit 28 auf 26. Mit dem Haushaltsplan 2014 wird die erste Absenkung auf 27 vollzogen.
Finanziert werden diese Maßnahmen durch Demographieeffekte. Trotz sinkender SchülerInnenzahl verbleiben die Mittel im System.
Bei Aufnahme von Schülerinnen und Schülern mit Sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf darf dieser Wert unterschritten werden wenn über die Parallelklassen hinweg eine Einhaltung des Wertes gesichert wird.
4. Stellenübersicht aus dem Haushaltsplan 2014
Durch die Berücksichtigung von Schülerinnen und Schülern mit Lern- und Entwicklungsstörung im Grundstellenbedarf an allgemeinen Schulen ergibt sich bei 40.005 Schülerinnen und Schülern ein Bedarf an 1.964 Stellen als Grundstellen, die vorgesehen sind. Damit werden die Schülerinnen und Schüler mit Lern- und Entwicklungsstörung zweifach gezählt: Einmal in der Grundversorgung und einmal in der Sonderpädagogischen Ressourcenzuweisung.
Zusätzlich stehen für die Unterstützung dieser Schülerinnen und Schüler in Form von regionalen Stellenbudgets 9.406 Stellen zur Verfügung. Unter anderem:
835 Planstellen zur Unterstützung des Inklusionsprozesses in Schulen
53 InklusionskoordinatorInnen
100 Mehrbedarfsstellen zur Unterstützung des Inklusionsprozesses an Schulen
16 Stellen für den Unterrichtsmehrbedarf für den gemeinsamen Unterricht
460 Stellen für sonderpädagogischen Mehrbedarf in Integrativen Lerngruppen der Sek. I und zur Inklusion
80 Stellen zur Absenkung der Klassengrößen in GU-Klassen
126 Stellen zur Unterstützung des Einstiegs in die Inklusion
Für alle anderen Formen der Behinderung bleibt es beim AO-SF Verfahren und der damit einhergehenden Stellenzuweisung.
Die Umsetzung der Inklusion an nordrhein-westfälischen Schulen ist daher mit einer verantwortbaren Stellenausstattung hinterlegt. Da sie mit einem ersten Gesetz auf den Weg gebracht wird, wird es sicherlich auch hier, wie in jedem begonnenen Prozess, Anpassungen und Überarbeitungen geben müssen. Ihren Pessimismus teile ich jedoch nicht.
Mit freundlichen Grüßen,
Dietmar Bell und Josef Neumann
Bürogemeinschaft der Abgeordneten
Dietmar Bell MdL
Andreas Bialas MdL
Josef Neumann MdL