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Dietmar Bartsch
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Frage von Andreas T. •

Frage an Dietmar Bartsch von Andreas T. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Dr.Bartsch

Für den durchschnittlichen Bundesbürger gehört es nicht zum Alltag, Verträge abzuschließen, den Erwerb von Konsumgütern natürlich ausgeschlossen. Wenn es doch einmal vorkommt, ist er in der Regel überfordert, weil er die juristischen Formulierungen nicht versteht. Auch die Umfänge der Verträge werden immer länger und überfordern ihn zusätzlich. Ansonsten bewegen wir uns oft völlig gedankenlos im Alltag, ohne darüber nachzudenken, ob wir gegen bestehende Gesetze oder Verordnungen verstoßen. Dies ist aber keine Missachtung der aktuellen Rechtsordnung, sondern der Unmöglichkeit geschuldet, unsere Gesetze und Verordnungen in ihrer Gesamtheit zu kennen, geschweige denn zu verstehen. Der Bürger lernt die Einhaltung von Gesetzen nicht durch deren Verständnis, sondern durch Strafen. Was nicht bestraft wird, ist nicht existent. Wenn eine Rechtsordnung ausufert, so dass man für jedes Themenfeld Fachanwälte benötigt, dient sie nicht dem friedlichen Zusammenleben der Menschen, sondern der Bereicherung von Eliten. Das Abschließen von Verträgen mit Kinder ist unzulässig, weil sie die Tragweite nicht verstehen können. Ist das Beschließen von Gesetzen und Verträgen zulässig, wenn nicht alle Abgeordneten die Tragweite erfassen können? Nach meiner Einschätzung ist das bei der Fülle der Beschlüsse allein zeittechnisch unmöglich.
Wieviel Prozent der Abgeordneten müssen ihrer Meinung nach eine Beschlussvorlage verstehen, damit sie Vertragsverbindlichkeit erlangt?

Wieviel Prozent der Bevölkerung müssen Gesetze verstehen können, damit sie Gültigkeit besitzen können, ober anders herum, ab wieviel Prozent Unverständnis sind Strafen nicht mehr gerechtfertigt.

Mit freundlichen grüßen

Andreas Teichmann

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Sehr geehrter Herr Teichmann,

Ihre Kritik an der Kompliziertheit mancher Gesetze und Vertragstexte ist nachvollziehbar. Es ist daher auch Aufgabe des Gesetzgebers, Gesetzestexte in einer Sprache zu verfassen, die es jenen ermöglicht, für die diese Gesetze Wirkung entfalten sollen, die Texte zu verstehen, um sie bewusst einhalten bzw. beachten zu können.

Grundsätzlich kann bei der Komplexität vieler juristischer Sachverhalte nicht vorausgesetzt werden, dass diese für jeden verständlich sind. Es handelt sich um eine eigene Sprache, die ähnlich wie in der Medizin erlernt werden muss. Das immer auch auf eine für juristische Laien verständliche Sprache herunterbrechen zu wollen ist unrealistisch.

Es wird immer Gesetze geben, die zu berücksichtigen eine Aufgabe von Fachleuten wie Anwälten und Notaren ist. Solche Gesetze beziehen sich nicht selten auf Sachverhalte, die äußerst komplex und vielschichtig sind. Dafür kurze, präzise und zweifelsfrei anzuwendende Regelungen zu formulieren, bleibt ein Anspruch für den Gesetzgeber.

Es kann nicht erwartet werden, dass jede/r Abgeordnete alle vom Parlament zu beschließenden Gesetzestexte fachlich nachvollziehen kann. Dafür haben die Fraktionen ausgewiesene Fachpolitiker/innen sowohl unter den Abgeordneten als auch unter den Fraktionsmitarbeiter/innen. Sie sorgen dafür, dass die Abgeordneten einen Entscheidungsvorschlag zur Abstimmung über das Gesetz nachvollziehen und bewusst treffen können. Die Vorstellung, eine Quote festlegen zu können, wie viele Abgeordnete quasi mit der Kompetenz eines Juristen notwendig seien, um ein Gesetz beschließen zu können, halte ich nicht für zielführend.

Auch eine Quote, wieviel Prozent der Bevölkerung Gesetze verstehen können müssten, damit sie Gültigkeit besitzen können, ist nicht sinnvoll. Der Grundsatz Unwissenheit schützt vor Strafe nicht ist auch dahingehend zu verstehen, dass jede/r in der Pflicht steht, sich ggf. bei Fachleuten Rat zu holen, wenn er annehmen muss, dass sein Handeln die Einhaltung ihm möglicherweise unbekannter Gesetze erfordert.

Freundliche Grüße

Dr. Dietmar Bartsch

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