Frage an Dietmar Bartsch von Gerold M. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Bartsch,
vor dem Hintergrund der Annahme, daß die Agenda-2010-Politik der Ökonomie mehr Profit Deutschland eingebracht hat, möchte ich wissen wie stark denn die Wertschöpfung der Unternehmen durch das sog. Lohndumping und durch die Exportsteigerung durch den Euro zugenommen hat im Verhältnis zu der Steigerung der Steuereinnahmen, vor allem im Auslandsgeschäft, da die Wertschöpfung hier wahrscheinlich den betreffenden Länder (zum Teil) in die Bilanzen eingehen?
Was ist der wahre Hintergrund, und die offizielle Begründung, weshalb über die letzten 10 Jahre -unter der Prämisse, daß meine Beobachtung soweit stimmt- immer von den sog. Arbeitsagenturen veranschlagte 600.000 bis zu einer Million offene Stellen gemeldet waren?
Was ist falsch daran, einer Arbeitslosenversicherung auch den Charakter einer Versicherung zuzubilligen, oder dies zu verlangen, ist dieser doch im Kern ein Mindestmaß an Leistung im Versicherungsfall, und die implizite Drohung einer Geldkürzung bis auf Null so nicht rechtfertigbar, im allgemeinen Diskurs?
Vielen Dank für die Beantwortung meiner Fragen!!
Mit freundlichen Grüßen
G. Meyer
Sehr geehrter Herr Meyer,
danke für Ihre Mail, die ich gern beantworte: Ja, es trifft zu, dass zahlreiche Regelungen im Rahmen der Agenda-2010-Politik das Lohndumping befördert und damit auch maßgeblich die anhaltend hohen Exportüberschüsse Deutschlands ermöglicht haben. Die Bruttowertschöpfung in Deutschland stieg seit dem Jahr 2000 um rund 37 Prozent. In diesem Zeitraum stiegen die Löhne nur um 33 Prozent, während die Unternehmereinkommen um 60 Prozent anstiegen. Auch die Steuereinnahmen stiegen mit 34 Prozent geringer als die Bruttowertschöpfung.
Die Beschäftigten wurden auf diese Weise von der Entwicklung des wirtschaftlichen Wohlstandes, den sie produzieren, teilweise abgekoppelt. Wären die Entgelte der Beschäftigten seit 2000 im Einklang mit der Wohlstandssteigerung der deutschen Wirtschaft gestiegen, hätten die Beschäftigten in dem Zeitraum weit über eine Billion Euro mehr Gehalt bekommen müssen.
Diese Niedriglohn- und Lohndumpingpolitik wirkt sich nachhaltig auf die Binnennachfrage aus. Eine Folge ist, dass in Deutschland produzierte Waren und Dienstleistungen vermehrt im Ausland abgesetzt werden mussten. Die Exporte stiegen seit 2000 um stolze 103 Prozent. Davon profitierten in Deutschland, wie schon beschrieben, vor allem die Gewinn- und Unternehmereinkommen.
Zu Ihrer zweiten Frage:
Mit den monatlichen Arbeitsmarktzahlen veröffentlicht die Bundesagentur für Arbeit auch regelmäßig Angaben zum gesamtwirtschaftlichen Stellenangebot, welches derzeit bei etwa einer Million liegt und die Zahl der offenen Stellen wiedergibt. Diese Zahlen sagen nichts über die Qualität dieser Stellen aus. Insbesondere nichts darüber, wie viele dieser Stellenangebote lediglich prekäre Beschäftigungsangebote sind. Angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen seit vielen Jahren auf fast gleichbleibend hohem Niveau ist, kritisiert die LINKE, dass viele Unternehmen Langzeitarbeitslose im Bewerbungsverfahren aussortieren, ohne sich deren Qualifikationen und Fähigkeiten anzuschauen.
Zur dritten Frage.
Das Arbeitslosengeld I ist eine Versicherungsleistung. Bei der von Ihnen angesprochenen Kürzung auf Null dürfte es sich um die Sperrzeiten handeln, die beim Arbeitslosengeld I verhängt werden können. Die LINKE lehnt diese Sperrzeiten ab und fordert ein sanktionsfreies Arbeitslosengeld I.
Freundliche Grüße
Dr. Dietmar Bartsch