Frage an Dieter Stier von Jens W. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Stier,
ich habe mal eine Frage zu den Rentenbescheinigungen, welche man regelmäßig geschickt bekommt.
Warum bekommt man in den neuen Bundesländern ca. 24 Euro und in den alten Bundesländern ca. 27 Euro pro angesammelten Rentenpunkt. Nach welchen Kriterien wird da vorgegangen?
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Weigmann,
Vielen Dank für Ihre Anfrage. Die gesetzliche Rentenberechnung ist ein sehr umfangreiches und komplexes Thema, aber ich möchte versuchen Ihnen kurz und verständlich zu erläutern, wie und warum sie so berechnet wird. Ihre Rente wird grundsätzlich folgendermaßen nach der aktuellen Rentenformel ermittelt:
Rente = Entgeltpunkte x Rentenartfaktor x Zugangsfaktor x Rentenwert
Zu den einzelnen Faktoren der Rentenformel:
Die Höhe der Entgeltpunkte ergibt sich aus dem Verhältnis Ihres Einkommens mit dem Durchschnittseinkommen aller Versicherten. Für ein Durchschnittsjahreseinkommen erhalten Sie genau einen Rentenpunkt. Diesem Verhältnis liegen in Ost und West unterschiedliche Bezugsgrößen zu Grunde, die jährlich neu berechnet werden. Die Bezugsgröße entspricht jeweils einem monatlichen Durchschnittsentgelt der Pflichtversicherten des vergangenen Kalenderjahres aufgerundet auf den nächsten durch 420 teilbaren Betrag. Das Durchschnittsentgelt in Ost und West ist aber unterschiedlich hoch, einfach weil das Lohnniveau im Osten noch geringer ausfällt. Dadurch sind logischerweise auch die Bezugsgrößen für die Rente unterschiedlich hoch. Aktuell für 2009 ist sie im Westen bei 2.520 Euro und im Osten bei 2.135 Euro. Somit benötigen Sie weniger Einkommen im Osten als im Westen, um einen Rentenpunkt zu erhalten.
Mit dem Rentenartfaktor wird die jeweils spezielle Rentenart ins Verhältnis zur Altersrente gesetzt. Der Rentenartfaktor beträgt für die Rente wegen Alters genau 1,0, für die Rente wegen Berufsunfähigkeit z.B. 0,6667, für die Halbwaisenrente 0,1.
Durch den Zugangsfaktor werden aus den allgemein ermittelten Entgeltpunkten persönliche Entgeltpunkte. Er bewertet die Unterschiede bei der Rentenbezugsdauer. Beim Renteneintritt mit 65 Jahren beträgt er genau 1,0. Wer vorzeitig in Rente geht, hat logischerweise einen Zugangsfaktor kleiner als 1,0 und erhält deshalb weniger Monatsrente. Arbeitet man über das 65. Lebensjahr hinaus ist der Zugangsfaktor größer als 1,0. Mit der schrittweisen Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 wird sich das natürlich verschieben.
Der aktuelle Rentenwert ist nun jener Betrag, der einer monatlichen Rente aus den Beiträgen eines Durchschnittverdieners für ein Jahr entspricht. Er wird durch die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats jeweils am 01.07. eines jeden Jahres neu festgelegt. Aktuell beträgt er in West 27,20 Euro und in Ost 24,13 Euro. Und hier setzt speziell Ihre Frage an Herr Weigmann. Durch die jährliche Festsetzung des aktuellen Rentenwerts wird die Rente an die Veränderung der Löhne und Gehälter angepasst. Zur Bestimmung des aktuellen Rentenwerts wird u.a. der Nachhaltigkeitsfaktor angewandt. Dieser berücksichtigt das Verhältnis zwischen der Zahl der Beitragszahler und der Rentenempfänger. Der Rentenwert fällt demnach umso geringer aus, je ungünstiger das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentenempfängern und je höher die Lebenserwartung und damit die durchschnittliche Dauer des Rentenbezugs ist. Daher sind die Rentenwerte in Ost und West auch unterschiedlich hoch. Im Osten sind sie geringer, weil zum Einen die Löhne geringer ausfallen, zum Anderen das Verhältnis zwischen Menschen die arbeiten und einzahlen zu Menschen die in Rente sind und Leistungen empfangen ungünstiger ist als im Westen. Gründe hierfür sind die hohe Arbeitslosigkeit und die vielen angerechneten Arbeitsjahre der Frauen in der ehemaligen DDR. Sinkt nun z.B. die Arbeitslosigkeit im Osten weiter, sprich sind mehr Bürger gesetzlich rentenversichert und zahlen Beiträge ein, steigen dazu noch die Löhne im Osten an, so erhöht sich der Rentenwert. Sinken darf er im Gegenzug aber nicht. Es sorgen Schutzklauseln dafür, dass die Renten nicht gekürzt werden dürfen. Deswegen ist eine gezielte Arbeitsmarktpolitik auch direkt für die Rentner von Vorteil. Mehr Arbeitsplätze verbessern den Rentenwert und damit die Rente, die direkt Sie beziehen.
Getrennt wurde bei der gesamten Berechnung der Rente zwischen Ost und West ganz einfach auf Grund unterschiedlicher Voraussetzungen nach 1990. Im Osten gab es anders als im Westen keine umfangreiche Beamtenschaft, welche gesondert Leistungen im Alter erhält und nicht in die gesetzliche Rentenversicherung integriert ist. Des Weiteren hatten wie schon angedeutet vor allem die Frauen im Osten viel mehr Arbeitsjahre vorzuweisen als im Westen. Und da das Lohnniveau auch heute einfach noch zu unterschiedlich hoch ist, fallen die Beiträge im Osten geringer aus als im Westen. Ebenso ist das Verhältnis zwischen Empfängern und Beitragszahlern im Osten ungleich ungünstiger als im Westen.
Doch durch eben diese Unterscheidungen in der Rentenformel wird im Ergebnis sicher gestellt, dass:
1. die gesetzliche Rente umso höher ist, je höher das Einkommen und je mehr Jahre Beiträge eingezahlt werden.
2. ein vorzeitiger Rentenbeginn die Rente verringert, ein späterer Eintritt im Gegenzug die monatliche Rente erhöht
3. der Rentenanstieg bei einer Verschlechterung des Verhältnisses von Beitragszahlern zu Rentnern gebremst wird
Die Renten müssen ja insgesamt auch finanzierbar bleiben, und sie müssen auch vor allem eines sein, nämlich gerecht. Und stellen Sie sich einmal Folgendes vor. Die Renten würden in West wie Ost genau gleich berechnet. Das hieße dann, der Rentenwert würde nach einem gesamtdeutschen Schnitt berechnet, die Entgeltpunkte aber natürlich auch. Es würde keine Unterscheidung mehr geben nach den unterschiedlichen Verhältnissen. Der Rentenwert würde etwas niedriger ausfallen als aktuell im Westen, aber für alle gleich hoch sein. Nehmen wir da nur einmal grob 26 Euro an. Ebenso würde die Bezugsgröße insgesamt etwas niedriger als aktuell im Westen ausfallen, aber für Sie hier im Osten natürlich ansteigen. Da aber die Löhne weiterhin geringer sind als im Westen, steigen die Beitragszahlungen im Osten nicht an. Im Endeffekt würden Sie durch die Rentenformel dann weniger Entgeltpunkte erhalten, zwar mit dem höheren Wert verrechnet, aber insgesamt unter dem Strich ungünstiger für Sie. Das aktuelle deutsche Rentensystem entspricht also den unterschiedlichen Gegebenheiten in Ost wie West.
Ich hoffe damit ihre Frage beantwortet zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Stier