Frage an Detlef Müller von Thomas K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Müller,
in der Bevölkerung wird seit geraumer Zeit über ein Bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert. Es ist teilweise in diesem Zusammenhang auch von "Bürgergeld", "Grundsicherung" usw. die Rede. Das Grundeinkommen könnte viel soziale Probleme lösen und den Menschen die Existenzangst nehmen. Wie stehen Sie und Ihre Fraktion zu diesem Thema ? Falls Ihnen das Thema unbekannt sein sollte, unter http://www.grundeinkommen.de mehr dazu. Götz Werner, ehemaliger Chef der DM_Drogeriemarkt-Kettte, ist wohl der bekannteste Befürworter dieser Idee.
MfG Thomas Koppe
Sehr geehrter Herr Koppe,
vielen Dank für Ihre Anfrage bei Abgeordnetenwatch.de.
Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens erscheint zunächst als interessant und einfach. Die Idee des Grundeinkommens geht davon aus, dass alle Sozialleistungen gestrichen würden und stattdessen der Staat jedem einzelnen Bürger monatlich ein Grundgehalt von angenommen 1000 Euro auszahlen würde. Dies würde ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Gegenleistung geschehen.
Positiv festzuhalten ist, dass für die Unternehmen die Arbeitskraft günstiger würde, und für die Bürger würde sich dank des Grundgehalts auch gering entlohnte Arbeit rechnen, die Arbeitslosigkeit würde auf einen Schlag sinken. Weil jeder die Leistung erhielte, wären Arbeitslose nicht länger stigmatisiert.
Doch ein solches bedingungsloses Grundeinkommen wäre unfinanzierbar, kaum umsetzbar und zutiefst unsozial.
Die Befürworter wollen das Grundeinkommen mit einer einheitlichen Einkommenssteuer refinanzieren. Dies widerspricht unserem Sozialstaatsmodell, denn Sozialleistungen werden überwiegend zielgenau auf die tatsächlich Bedürftigen zugeschnitten. Starke Schultern sorgen für sich selbst und tragen mehr zur Finanzierung des Sozialstaats bei als schwache. Gleichzeitig entfiele mit der progressiven Einkommensteuer ein zentrales Umverteilungsinstrument. Diese Logik widerspricht meiner Meinung nach dem Gerechtigkeitsempfinden der meisten Menschen in Deutschland.
Hinzu kommt, und das gilt für alle Grundeinkommensmodelle: Das Konzept blendet die Vielschichtigkeit von Armut vollkommen aus. Die heutige Unterschicht leidet keineswegs nur an Geldknappheit, sondern gerade auch an fehlenden Chancen aktiver Teilhabe, an mangelnder Bildung und der "Vererbung" sozialer Benachteiligung. Ein sozialer Staat ermutigt, aktiviert und befähigt deshalb seine Bürger zu Partizipation, Leistung, Kreativität. Er investiert in die Menschen, anstatt sie zu alimentieren. Nur der vorsorgende Sozialstaat, der Familien-, Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Integrationspolitik intelligent miteinander vernetzt, kann im 21. Jahrhundert soziale Gerechtigkeit herstellen.
Die Verfechter des Grundeinkommens hingegen wollen die Säulen der Sozialversicherung (Rente, Arbeitslosigkeit, Pflege, Unfall) einfach niederreißen, die Fürsorgesysteme und Maßnahmen zur Arbeitsförderung einstellen. Berufliche Weiterbildung, Ausbildung Benachteiligter, beschäftigungsbegleitende Leistungen – alle staatlichen Hilfen, mit denen die Menschen auf eigene Füße kommen sollen, würden abgeschafft. Der Staat zahlt das Grundgehalt und überlässt die Hilfsbedürftigen sich selbst.
Nicht verschweigen darf man auch in diesem Zusammenhang, dass das Grundeinkommen zu der Annahme verführen könnte, Arbeit sei etwas, was man je nach Lebensabschnittslaune tun oder eben lassen könne. Mehr noch: Mit einiger Wahrscheinlichkeit würde ein bedingungsloses Grundeinkommen die gesellschaftlichen Vorstellungen über den Sinn und Wert von Arbeit negativ verändern und die Motivation der Menschen mindern, sich zu qualifizieren. Dabei werden schon heute in vielen Branchen Hände ringend qualifizierte Fachkräfte gesucht, der Staat sollte deshalb alle finanziellen Ressourcen nutzen, diese Menschen fit für den Arbeitsmarkt zu machen.
Tendenziell würden die Bürger ihre Arbeit zugunsten von mehr Freizeit reduzieren. Dadurch würde die Produktivität unserer Wirtschaft sinken, was wiederum geringere Erlöse und steigende Preise zur Folge hätte. Ein Teufelskreis, weil das Grundeinkommen daraufhin erhöht werden müsste. Selbst für das Grundeinkommen gilt eben: Man kann nur das Geld verteilen, welches man zunächst erwirtschaftet hat.
Mit freundlichen Grüßen
Detlef Müller, MdB