Frage an Dennis Radtke von Wilfried B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Radtke,
am 26. März 2019 hat die EU durch die de facto beendete Seenotrettung im Rahmen der Operation Sophia ihren Anspruch als abendländische Wertegemeinschaft nach meinem Verständnis endgültig aufgegeben. Wer – wie die EU – bewusst und wissentlich den Tod von Flüchtlingen in Kauf nimmt, macht sich, aus meiner Sicht, nicht nur moralisch, sondern auch gegebenenfalls strafrechtlich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. Zudem berichtete das ARD-Magazin Monitor am Abend des 2. Mai 2019, dass wiederholt die libysche Küstenwache, zuständig für die Seenotrettung, nicht erreichbar gewesen sei bzw. Sprachschwierigkeiten bestanden; die in Seenot geratenen Flüchtlinge also ihrem Schicksal überlassen wurden. Zudem wurden gerettete Flüchtlinge zurück nach Libyen gebracht und dort, beispielsweise in Tripolis, in Internierungslagern untergebracht. Monitor zeigte Videosequenzen aus einem dieser Internierungslager, das offensichtlich zwischen die Bürgerkriegsfronten in Tripolis geraten war.
Im Spätsommer des Jahres 2015, als Tausende von Flüchtlingen nach Deutschland strömten, gingen Bilder freudig an den Bahnhöfen empfangener "Refugees welcome" um die Welt. Die "Willkommenskultur" war geboren.
Als überzeugter Bürger der Europäischen Union frage ich nun Sie als Mitglied des Europaparlaments sowie als studierter Rechtswissenschaftler, welche Möglichkeiten ich als überzeugter Bürger der EU habe, um gegen diese menschenverachtende gefühlskalte Politik der Europäischen Union zu intervenieren? Konkret gefragt: Kann ich als Bürger der Europäischen Union vor dem Europäischen Gerichtshof die EU-Kommission wegen der aus meiner Sicht unterlassenen Hilfeleistung bezüglich in Seenot geratener Flüchtlinge verklagen? Dies, sehr geehrter Herr Radtke, ist eine tiefgreifende ernst gemeinte Frage. Mir ist natürlich bewusst, dass sich das Handeln der EU nicht wird abändern lassen. Allerdings geht es mir um ein wahrhaft symbolisches Zeichensetzen!
Danke!
W. B.
Sehr geehrter Herr B.,
ich danke Ihnen für Ihre Frage. Sie greifen damit ein äußerst wichtiges Thema auf. Es freut mich zu sehen, dass dieses Thema auch Bürgerinnen und Bürger umtreibt und Menschlichkeit in der EU zu den Grundpfeilern zählt. Ich persönlich bedauere die von Ihnen beschriebenen und bekannten Zustände sehr. Wir dürfen es nicht zulassen, dass ein einziger Mensch im Mittelmeer ertrinkt. Leider gibt es einige Akteure, die dringend gebotenen Ansätzen immer wieder im Wege stehen. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass wir eine politische Lösung für dieses Problem finden müssen.
Die Regeln zur Seenotrettung ergeben sich aus völkerrechtlichen Vertragswerken und weisen keinen originären Bezug zum Unionsrecht auf. Zudem beziehen Sie sich auf eine Norm aus dem deutschen Strafrecht. Zuständig wäre insofern ein deutsches Gericht. Ohnehin richtet sich das Strafrecht an natürliche Personen. Auch die in Frage kommenden Individualklagearten vor dem Europäischen Gerichtshof, insbesondere die Untätigkeitsklage, stellen sich als ungeeignet dar, da sie persönliche Betroffenheit voraussetzen. Haben Sie Verständnis dafür, dass ich als Abgeordneter des Europäischen Parlaments an dieser Stelle keine weitergehende ausführliche rechtliche Beratung leisten kann. Ich möchte Sie aber ermutigen, dieses wichtige Thema weiter zu begleiten.
Mit freundlichen Grüßen
Dennis Radtke