Frage an Daniela Wagner von Detlef B. bezüglich Menschenrechte
Welche Änderungen am 3.Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite werden Sie am 18.11. in die Lesung des Gesetzesentwurfs einbringen und wie werden Sie abstimmen?
Liebe Daniela!
Derzeit wird im deutschen Bundestag - von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt - im Eilverfahren ein erst am 3. November 2020 von den Regierungsparteien CDU/CSU und SPD eingebrachter Gesetzentwurf mit dem harmlos klingenden Titel: “Drittes Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite” diskutiert. Soll noch im November 2020 beschlossen werden.
Dieses Gesetz kommt, falls es so, wie eingebracht verabschiedet werden sollte, einem Ermächtigungsgesetz gleich, das der Bundesregierung freie Hand dabei gibt, die Grundrechte der Bürger umfassend und nachhaltig zu beschneiden.
Es ist in dem Gesetzentwurf nicht sichergestellt, dass angebliche Pandemielagen von “nationaler Tragweite” nicht zur dauerhaften Aushöhlung der Grundrechte der Bürger missbraucht werden können.
Besonders bedenklich ist, dass Bundestag und Landesparlamente keine weitere Mitsprachemöglichkeiten mehr zu Art und Dauer von Maßnahmen bleiben werden, sobald der Bundestag das Gesetz verabschiedet haben wird.
Aus diesem Grund ist es unabdingbar wichtig, dass die Bundestagsabgeordneten - auch wenn sie keinen Amtseid leisten müssen - sich verpflichtet sehen sollten, ihre Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren, Schaden von ihm abzuwenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes zu wahren und zu verteidigen, und ihre Pflichten gewissenhaft zu erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann zu üben.
Aus dieser Verpflichtung heraus sollten sich die Abgeordneten klar gerufen sehen, dem Gesetz in dem vorliegenden Gesetzentwurf die Zustimmung zu verweigern u umfassende Änderungen einzufordern.
Kannst du meine Bedenken nachvollziehen? Als engagierter Christ sehe ich besonders die Religiöse Freiheit gefährdet
LG Detlef Baumann
Sehr geehrter Herr Baumann-Schiechel,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Die ganze Welt befindet sich mitten in einer Pandemie. Auch Deutschland ist schwer getroffen, die Infektionszahlen sind besorgniserregend, Intensivbetten werden immer knapper. Wir wollen das Leben und die Gesundheit aller schützen, auch die von Ihnen und Ihrer Familie. Dafür braucht es ein funktionierendes Gesundheitssystem. Viele Krankenhäuser, viele Ärzte und Pflegekräfte kommen aber zunehmend an ihre Grenzen. Wir müssen die Pandemie eindämmen und darum haben Bund und Länder Gegenmaßnahmen ergriffen, die teilweise tief in die Grundrechte von uns allen eingreifen. Die Corona-Maßnahmen verlangen uns viel ab. Aber es ist richtig, dass wir unser Gesundheitssystem vor dem Kollaps bewahren und Leben schützen. Und es ist gut, dass das demokratisch und rechtssicherer passiert als bisher, denn das wird durch das 3. Bevölkerungsschutzgesetz endlich möglich.
Bisher gab es als rechtliche Grundlage für die Maßnahmen nur die ziemlich allgemein gehaltene Generalklausel des § 28 Infektionsschutzgesetz (IfSG), die wurde dann von den Landesregierungen in jeweiligen Infektionsschutzverordnungen oder Landesgesetzen konkretisiert. Wir als Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen haben seit Mai für eine stärkere Einbindung des Parlaments in der Corona-Krise gekämpft und die unzureichenden Rechtsgrundlagen kritisiert. Wir sind überzeugt: Bei möglichen Grundrechtseingriffen braucht es eine vom Parlament beschlossene konkretere gesetzliche Grundlage und klare Voraussetzungen, insbesondere Ziele, Zwecke, Eingriffsschwellen und Grenzen.
Hinzu kommt, dass auch Gerichte unsere Auffassung teilen, dass es diese vom Parlament beschlossene Grundlage braucht. Und genau diese hat der Bundestag nun mit dem 3. Bevölkerungsschutzgesetz geschaffen. Mit dem 3. Bevölkerungsschutzgesetz wird die Bekämpfung der Pandemie demokratisch besser legitimiert und bekommt eine solide gesetzliche Grundlage. Jetzt ist klarer unter welchen Voraussetzungen die Bundes- und Landesregierungen in Grundrechte eingreifen dürfen, um unser Gesundheitswesen aufrecht zu erhalten und die Kontrolle über die Corona-Pandemie zu behalten. Wir haben deutliche Grenzen eingezogen. Zum Beispiel haben wir beschlossen, dass generelle Ausgangsbeschränkungen nicht verhängt werden dürfen. Und dass auch in Alten- und Pflegeheimen dafür gesorgt werden muss, dass die Bewohner*innen ein Mindestmaß an sozialen Kontakten haben können. Alle Maßnahmen sind grundsätzlich auf vier Wochen befristet und müssen dann erst einmal überprüft werden. Damit sind unsere Grundrechte besser geschützt. Die Bekämpfung der Pandemie wird demokratischer und rechtssicherer. Denn um zu funktionieren, müssen Gegenmaßnahmen auch vor Gerichten Bestand haben. Zugleich ist mit diesem Gesetz weiterhin zügiges Reagieren auf das Infektionsgeschehen möglich.
Jetzt gibt es auch Kritik an den Gesetzesänderungen, wie Ihre Anfrage deutlich. Manches ist berechtigt, auch wir finden nicht alles am Gesetz gut. Manche Zuschriften beziehen sich auf die erste Fassung des Gesetzesentwurfes der Regierungskoalition. Der konnte aber im Bundestag nach einer öffentlichen Sachverständigenanhörung und auch auf unseren Druck hin noch einmal deutlich verbessert werden. Die Aussage, es handele sich bei dem Bevölkerungsschutzgesetz um ein „Ermächtigungsgesetz“ ist eine gefährliche Propaganda, die wir ganz entschieden zurückweisen! Es ist geschichtsvergessen, denn mit dem Ermächtigungsgesetz haben die Nationalsozialisten 1933 den gesetzlichen Grundstein für ihre Diktatur gelegt. Es ist auch grob falsch, denn die Befugnisse der Bundesregierung werden mit dem Bevölkerungsschutzgesetz nicht erweitert, sondern deutlich eingegrenzt und im Grundsatz auf vier Wochen befristet. Zudem sind sie an die Feststellung der nationalen Pandemielage durch das Parlament geknüpft und damit insgesamt befristet.
Darum wir dem Infektionsschutzgesetz zugestimmt - auch wenn wir an einigen Stellen Kritik daran haben:
Im Gesetzentwurf ist der Zusammenhang zwischen Infektionsgeschehen und möglichen Maßnahmen nicht klar genug hergestellt. Besser wäre es, Risikostufen zu definieren und die Maßnahmen diesen zuzuordnen. Denn damit könnten sich Bevölkerung und Unternehmen besser darauf einstellen, welche Maßnahmen bei welcher Inzidenz erlassen werden.
Wir sprechen uns seit langem für die Einrichtung eines interdisziplinär besetzten wissenschaftlichen Pandemierates aus, der mit Empfehlungen eine Strategie für die kommenden Monate entwickeln hilft. Die Chance, ein solches Gremium nun gesetzlich zu verankern, hat die Koalition nicht genutzt.
Wir setzen uns dafür ein, die Belange von Kindern stärker zu berücksichtigen. Ihnen soll auch in Hotspots mit vielen Infizierten ein Mindestmaß an Kontakten mit anderen Kindern ermöglicht und eine Betreuung in Kita oder Schule garantiert werden, auch wenn diese für den Regelbetrieb geschlossen werden müssen.
Aus unserer Sicht muss ein Mindestmaß an sozialen Kontakten auch außerhalb von Heimen und Krankenhäusern geschützt sein - Menschen dürfen nicht vollständig isoliert werden - und bei Kontakt- und Reisebeschränkungen der Schutz von Ehe, Partnerschaft und Familie beachtet werden.
Zudem fordern wir für die Finanzierung von Corona-Tests, ähnlich wie jetzt bei den Schutzimpfungen, die privaten Krankenkassen mit einzubeziehen, statt die kompletten Lasten weiterhin allein der gesetzlichen Krankenversicherung zu übertragen.
Es muss auch geprüft werden, ob es erforderlich ist, notwendige pandemiebedingte Eingriffe durch gesetzliche Entschädigungsansprüche auszugleichen.
Die Parlamentsbeteiligung und die Befristung der Maßnahmen waren überfällig, das haben wir immer wieder gefordert und es ist gut, dass unser Druck gewirkt hat. Das ist aber nur ein erster Schritt. Noch immer haben wir von der Bundesregierung keinen Plan für einen Alltag in der Pandemie.
Und die Ministerpräsident*innen und die Kanzlerin haben bei ihrem letzten Treffen am 16. November 2020 kein gutes Bild abgegeben. Es darf nicht sein, dass die Bundesregierung im Vorfeld einer Ministerpräsidentenkonferenz unsortierte Einzelforderungen erhebt, die die Bürgerinnen und Bürger verunsichern, und am Ende gar nichts davon beschlossen wird. Wir befürchten, dass so das große Vertrauen in die Maßnahmen verspielt wird, das es bisher in Deutschland gibt (58 Prozent der Deutschen finden die beschlossenen Maßnahmen gerade richtig, 26 Prozent sprechen sich sogar für weitergehende Maßnahmen aus. Quelle: ZDF Politikbarometer vom 13.11. 2020 https://www.zdf.de/nachrichten/politik/politbarometer-rueckhalt-fuer-geltende-massnahmen-100.html). Die Menschen haben nach vielen Monaten Pandemie das Recht darauf zu wissen, warum bestimmte Maßnahmen für nötig gehalten werden und wie es in den nächsten Wochen und Monaten weiter gehen soll. Auch deshalb gehört die Debatte darüber in die Öffentlichkeit und in unsere Parlamente. Sie können sicher sein, dass wir diese Debatten stets einfordern und voranbringen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Daniela Wagner