Frage an Daniela Ludwig von Victor M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sie schrieben, dass durch den Vertrag von Lissabon die Demokratie gesträrkt wird, was offenkundig nicht so ist.
Oder wie können sie mir ein fehlendes Initialrecht des europäischen Parlaments erklären, welchen Zweck bitte erfüllt ein Parlament, dass nicht mal Gesetze einbringen darf.
Wieso dürfen wir als Volk darüber eigentlich nicht abstimmen? Der Vertrag ist zu 95% deckungsgleich mit der gescheiterten Verfassung, die von den Franzosen und Niederländern abgelehnt wurde.
Danach dürfen diese Staaten nicht mehr abstimmen, das einzige Land, das dies durfte stimmte auch wieder dagegen. Aber ein Nein des Volkes wird nicht akzeptiert. Da wird einfach nochmal abgestimmt.
Es is eine Schande sich unter diesen Umständen Volksvertreter zu nennen, ausser man deutet es ähnlich wie den Versicherungs- oder Staubsaugervertreter.
Es interessiert mich nicht wie sie zu dem Vertrag stehen, mich interessiert nur mit welchem Recht man den Willen eines Volkes chronisch umgehen kann und gleichzeitig das Wort Demokratie dafür benutzt?
Sehr geehrter Herr Märten,
vielen Dank für Ihre Frage.
Die Demokratie lebt von dem Interesse und der Mitwirkung der Bürger an der politischen Entscheidungsfindung.
Selbstverständlich muss sich die Politik Gedanken darüber machen, wie sie die Bürger näher an die politischen Entscheidungsprozesse heranführen kann.
Auf kommunaler Ebene kann eine Gesetzgebung durch Bürgerentscheide in bestimmten Fällen sinnvoll sein. Auf der kommunalen Ebene geht es in der Regel um Sachverhalte, über die sich alle Bürger mit vertretbarem Aufwand informieren können.
Die Situation auf Bundesebene ist jedoch damit nicht vergleichbar.
Die Komplexität der Materien ist auf Bundesebene in aller Regel ungleich größer.
Den Bürgern wäre es in den meisten Fällen kaum zuzumuten, sich in die Einzelheiten der jeweils anstehenden Fragen einzuarbeiten. Zudem sind - anders als in einer Gemeinde - auf Bundesebene in vielen Fällen Fragen zu entscheiden, von denen jeweils nur kleine Gruppen der Gesamtbevölkerung betroffen sind.
Die Mehrheit der Bevölkerung würde sich für solche Volksbegehren mit hoher Wahrscheinlichkeit überhaupt nicht interessieren. Dabei bestünde die Gefahr, dass in solchen Fällen eine verschwindend kleine Minderheit - insbesondere organisierte Interessensvertreter und Lobbyisten - Ziele durchsetzen könnte, die auf parlamentarischem Wege keine Chance hätten und die unter Umständen dem Allgemeinwohl geradezu zuwiderlaufen.
Letztlich könnten auf diese Weise sogar die politischen Parteien Vorhaben durchsetzen, für die sich im Deutschen Bundestag keine Mehrheit finden würde. Darin kann ich keine Stärkung der Demokratie erkennen.
Um das Ganze an einem aktuellen Beispiel einmal zu verdeutlichen: Hätte man die Frage, ob in der aktuellen Finanzmarkt- und Bankenkrise die Bundesrepublik Deutschland eine Staatsgarantie für ein Institut wie die Immobilienbank Hypo Real Estate eingehen soll, der Volksabstimmung unterworfen, wage ich die Hypothese, dass das Ergebnis ein negatives gewesen wäre. In solchen Fällen würden viele Abstimmungsberechtigte wahrscheinlich ein Einstehen des Staates für privatwirtschaftlich verursachte Fehler und Verluste ablehnen. Eine solche Position könnte ich bei einer ersten überschlägigen Beschäftigung mit dieser Frage sogar gut nachvollziehen.
Dennoch glaube ich, dass die Übernahme einer Staatsbürgschaft und möglicherweise auch weitergehende Maßnahmen bis hin zur Übernahme von Einflussmöglichkeiten des Staates auf dieses Unternehmen in einer derartigen Extremsituation wie bei der gegenwärtigen Finanzkrise richtig sind. Denn ein Zusammenbruch eines derart großen Immobilienfinanzierers hätte zu einer massiven Schieflage des deutschen Bankensystems geführt, die wahrscheinlich unabsehbare Folgen für Millionen von Sparern und Darlehensnehmern in Deutschland mit sich gebracht hätte.
Ich denke, das Grundgesetz mit seinem Modell der parlamentarischen Demokratie hat sich in seiner nun bald 60jährigen Geschichte in hervorragender Weise bewährt. Wir sollten dieses Erfolgsmodell nicht leichtfertig durch unausgewogene Vorschläge aufs Spiel setzen.
Bezüglich des Vertrags von Lissabon ist zu sagen, dass die Union dafür eintritt, die Identität der einzelnen Mitgliedstaaten zu respektieren und die Zuständigkeiten nach dem Subsidiaritätsprinzip zu ordnen. Die Europäische Union muss sich gemäß dem Subsidiaritätsprinzip auf jene Aufgaben konzentrieren, die die europäische Ebene besser als die Nationalstaaten mit ihren Regionen und Kommunen erfüllen kann. Daher ist es notwendig, dass die bereits vereinbarten institutionellen Reformen des EU-Vertrags von Lissabon bald umgesetzt werden können.
Das Urteil des Verfassungsgerichts zum Vertrag von Lissabon gibt uns die Gelegenheit, für die notwendigen Beteiligungsrechte von Bundestag und Bundesrat in EU- Angelegenheiten zu sorgen.
CSU und CDU streben eine Kontrolle europäischer Entscheidungen durch die nationalen Parlamente schon lange an. Jetzt ist die Chance da, mehr demokratische Kontrolle durchzusetzen.
Das Verfassungsgericht hat die Zustimmung zum Vertrag von Lissabon für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt. Es hat dem Vertrag eine Interpretation gegeben, die Konflikte vermeiden soll zwischen der EU-Rechtsetzung und dem unabänderlichen Kern der Verfassung Deutschlands.
Das ist für mich sehr wohl Demokratie.
Mit freundlichen Grüßen
Daniela Raab, MdB