Frage an Daniela Kolbe von Fritz D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Kolbe,
die Bundeskanzlerin hat unlängst von einer "Marktkonformen Demokratie" in Deutschland gesprochen. Es war nicht klar, ob sie den gegenwärtigen Stand damit meinte oder was die Union anstrebt. Mich würde Ihre Meinung zuden genannten Begriff interessieren, kann man Demokratie mit derartigen Anhängseln definieren?
Mit freundlichen Grüßen Ihr Fritz Dost
Sehr geehrter Herr Dost,
vielen Dank für Ihre Frage vom 01.03.2013 zum Begriff „marktkonforme
Demokratie“.
Sie beziehen sich da auf folgendes Zitat von Angela Merkel: „Wir leben ja in einer Demokratie und sind auch froh darüber. Das ist eine parlamentarische Demokratie. Deshalb ist das Budgetrecht ein Kernrecht des Parlaments. Insofern werden wir Wege finden, die parlamentarische Mitbestimmung so zu gestalten, dass sie trotzdem auch marktkonform ist, also dass sich auf den Märkten die entsprechenden Signale ergeben."
Nun kann ich Ihnen nicht sagen, worauf genau die Bundeskanzlerin mit Ihrer Bemerkung hinaus wollte. Allerdings stimmt mich diese Aussage sehr nachdenklich, denn man könnte meinen, dass nicht mehr allein die Bürger als Wähler bestimmen sollten, sondern auch Spekulanten, Finanzmärkte, Hedgefonds und Banken. Und das in einer Zeit, in der sich sowieso die Bürger massenhaft von der Politik abwenden. Interessanterweise hat Angela Merkel hingegen die Einführung von direkter Demokratie abgelehnt. Die Bundeskanzlerin tut auch nichts, um die Demokratie zu stärken. Sie macht nichts gegen den massiven Eindruck bei den Bürgern, die Politik sei nicht nur machtlos geworden und werde getrieben von den Finanzmärkten, sondern die gemachte Politik nutze auch nicht mehr der Mehrheit der Bürger, sondern nur einer kleinen Minderheit von Reichen.
Für mich hat Frau Merkel deshalb kein wertgeladenes Verständnis von Demokratie, sie hat auch nie eine wertgeleitete Debatte über „Demokratie“ oder deren Zustand geführt. Ihr Umgang mit demokratischen Prozessen gleicht ihrer Politik: Für sie ist „Demokratie“ und demokratische Prozesse einfach ein Werkzeug unter vielen - genauso wie der Umgang mit Lobbygruppen, mit der CDU, mit dem Parlament - mit der sie ihre pragmatische Machtpolitik umsetzt. Der demokratische Prozess scheint für sie nur einer der bestehenden Einfluss- und Prozessfaktoren im politischen Betrieb von vielen anderen.
Deswegen stehe ich der „marktkonformen Demokratie“ sehr kritisch gegenüber. Wenn wir schon Worte dem Demokratiebegriff voranstellen wollen, wie wäre es dann mit mehr direkter Demokratie. Bei Volksentscheiden werden Debatten direkt in der Bevölkerung geführt und entschieden. Volksentscheide beleben das politische Geschäft. Aber mehr direkte Demokratie allein wird das generelle Problem der Politikverdrossenheit nicht lösen. Ein komplexes Problem lässt sich kaum mit nur einer Maßnahme beseitigen. Wir benötigen vielmehr eine stärkere Demokratisierung der Gesellschaft.
Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass der demokratische Prozess nicht immer einfach ist. Demokratie ist geprägt von Auseinandersetzungen und Kompromissen. Damit sie breite Unterstützung findet, muss der „Output“ stimmen. Es muss für die breite Bevölkerung etwas Positives herauskommen. Den demokratischen Prozess so zu gestalten, das ist die Herausforderung vor der Politiker, gerade in Zeiten von Krisen und Globalisierung, immer wieder neu stehen - sie müssen den Primat der Politik verteidigen und dafür sorgen, dass es gerecht zugeht.
Mit freundlichen Grüßen
Daniela Kolbe