Frage an Daniela Kolbe von Holger S. bezüglich Wirtschaft
Lieber Frau Kolbe,
ich nehme Frau Merkels "Verhandlungsergebnis" zum ausgeweiteten Rettungsschirm an diesem Wochenende zum Anlass, einmal ganz explizit zu fragen, ob Sie glauben, daß Schweden, Tschechen, Dänen, Norweger und Briten tatsächlich schlechtere Europäer sind. Diese haben ihre nationalen Währungen behalten und fahren sehr gut damit. Wenn Sie demnächst im Bundestag wieder zustimmen sollen zur neuen alternativlosen EURO-Rettung, dann möchte ich doch bitten, daß Sie alle endlich aufwachen in Ihrem bequemen Berliner Raumschiff. Ohne Gegenleistung der Schuldnerländer werden diese "gerettet" mit Milliarden Steuergeldern und niemand im Bundestag scheint endlich auf die Barrikaden zu gehen gegen das Alternativlos-Argument. Auch Ihre Partei nicht wirklich, sieht man von Spiegelfechterei ab. Wissen Sie denn eigentlich, wie das Geldsystem funktioniert? Ist die Entscheidungsvorlage für die Abstimmung denn wirklich fundiert?
Sie leisten sich im Bundestag monatelange Debatten um 3,- Euro-HartzIV mehr oder weniger und winken dann Milliarden an Bürgschaften und Hilfen für Dritte Staaten ohne echte Gegenleistungen/Sicherheiten an einem Nachmittag durch. So wird das ganze Parlament eine Farce und damit ist weder Europa noch dem sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft gedient.... (fassungslos).
Achso - zurück zu meiner Frage: Sind Schweden, Tschechen, Dänen, Norweger und Briten tatsächlich schlechtere Europäer, weil sie Euro und Europa auseinanderzuhalten wissen?
Viele Grüße
Holger Schack
Sehr geehrter Herr Schack,
vielen Dank für Ihre Frage zum Thema des Euro-Rettungsschirm, also der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und deren Nachfolgemechanismus, der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM). Grundsätzlich sind politische Entscheidung natürlich niemals alternativlos. Jedoch überwiegen meiner Ansicht nach in der Frage des ESM die Vorteile über die Nachteile. Bezogen auf die Reform des Rettungsschirms begrüße ich etwa die Erweiterung des ESM, sowie die Zinserleichterungen gegenüber Griechenland und die Möglichkeiten, Finanzhilfen in Form von Anleihen am Primärmarkt aufzukaufen. Grundsätzlich ist der ESM zustimmungsfähig, auch wenn noch wichtige Elemente fehlen, insbesondere die Regulierung der Finanzmärkte und die parlamentarische Kontrolle.
Jedoch werden mit dem „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“, den die Bundesregierung vorgeschlagen hat, eine Ökonomisierung der Sozialpolitik und ein nicht akzeptabler Sozialabbau verfolgt. Beides untergräbt das Vertrauen der Bevölkerung in eine soziale europäische Politik und geht in weiten Teilen an den Problemen vorbei.
Die Frage, ob man eine nationale oder eine vergemeinschaftete Währung nutzt, hat nicht vordergründig etwas mit der grundsätzlichen Haltung zur europäischen Integration zu tun, sondern erklärt sich oft auch ökonomisch. So haben es Länder wie Großbritannien, Schweden oder Dänemark vorgezogen, die Souveränität über den Außerwert ihrer Währung zu behalten anstatt die Vorteile einer gemeinsamen Währung zu nutzen. Die meisten anderen EU-Staaten haben den gegenteiligen Weg gewählt und etwa in den Turbulenzen der Weltfinanzkrise auf eine starke und relativ spekulationsresistente Währung vertrauen können.
Ich muss Ihnen widersprechen, wenn Sie behaupten, dass Schuldnerländer ohne Gegenleistung gerettet würden. Tatsächlich sind die Folgen der Rettung tiefgreifend, wie etwa die immensen Reformanstrengungen Griechenlands zeigen. Die Bürgerinnen und Bürger dort müssen Einschnitte hinnehmen, die für einige Bevölkerungsgruppen außerordentlich schmerzlich sind. Oft sind gerade das diejenigen, die zuvor nicht von der Verschuldung des Staates profitiert hatten.
Anstatt einseitig die Schuldnerländer in den Blick zu nehmen bin ich vielmehr der Meinung, dass wir im EURO-Raum eine gemeinsame Anstrengung brauchen, um die Ungleichgewichte in den Griff zu bekommen. Dies betrifft eben auch die Gläubigerländer. Überhaupt führt uns eine alleinige Fokussierung auf die Staatsschulden in die Irre. Die Krise etwa hat gezeigt, dass selbst Länder mit bis dato relativ soliden Staatsfinanzen wie Irland oder Spanien in Probleme gekommen sind. Vieles spricht dafür, dass wir statt der Staatsfinanzen die Gesamtverschuldung des öffentlichen und auch des privaten Sektors in den Blick nehmen müssen, wie auch die Leistungsbilanzungleichgewichte. Hier greifen die aktuellen Vorschläge noch zu kurz. Stattdessen wäre eine weitergehende makroökonomische Koordinierung sinnvoll.
Mit freundlichen Grüßen,
Daniela Kolbe, MdB