Frage an Daniela Kolbe von Erich H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Werte Frau Kolbe,
in demokratischen Staaten wie England, Canada, Australien und den USA wird die Geschichte des Landes von Teams aufgearbeitet; z.B. bestimmte Abschnitte der Geschichte (NOVEMBERREVOLUTION in Deutschland). Hat das Team das Buch fertig gestellt, wird es von einem Kritikerteam überprüft bevor es den Schulen zur Verfügung gestellt wird.
Warum weigert sich die SPD, dass dies auch in Deutschland so gehandhabt wird? Ist es die unselige Vergangenheit der SPD?
Kennen Sie, da Sie in der DDR aufgewachsen sind die Bücher des einzig international anerkannten deutschen Historikers, Sebastian Haffner?
Mit freundlichen Grüßen
E. Humplik
Sehr geehrter Herr Humplik,
vielen Dank für Ihre Frage.
Der von Ihnen geschilderte Sachverhalt ist mir nicht bekannt.
Grundsätzlich spricht natürlich nichts dagegen, dass Geschichtsbücher von Historiker(innen)teams erstellt und schließlich in einem kritischen Fachdiskurs bewertet werden.
Mir ist Sebastian Haffner als Verfasser der „Anmerkungen über Hitler“ und von Büchern über preußische Geschichte ein Begriff. Sie spielen sicher auf seine These über den angeblichen „Verrat“ der Sozialdemokratie während der Novemberrevolution. Tatsächlich mutet die Kooperation mit den Freicorps zu Beginn der Weimarer Republik heute ebenso unverständlich an wie etwa die Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914. Es ist sicher wohlfeil, kontrafaktisch zu spekulieren, wie die Geschichte der Weimarer Republik verlaufen wäre, hätte die SPD in der Novemberrevolution anders gehandelt. Sicher ist jedoch, dass die Gefahr eines Bürgerkriegs groß war, ebenso wie die einer diktatorischen Ermächtigung einer Minderheit. Die historische Errungenschaft, die Demokratie mit einem allgemeinen (Männer und Frauen umfassenden) und gleichen Wahlrecht in den Jahren 1918/19 durchgesetzt zu haben, bleibt ein großes Verdienst der Arbeiter(innen)bewegung und der SPD; der deutsche Liberalismus war dazu nicht in der Lage.
Kein Verständnis kann ich daher auch für Ihre Anmerkungen zur „unseligen Vergangenheit der SPD“ aufbringen. Wie Sie vielleicht wissen, ist die SPD (neben den erst 1980 gegründeten Grünen) die einzige im Deutschen Bundestag vertretene Partei, die nie eine Diktatur auf deutschem Boden unterstützt hat. Während die Vorgänger der heutigen Koalitionsparteien (DVP, DDP, DNVP, Zentrum) für das Ermächtigungsgesetz votierten, hielten mutige Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten den Widerstand aufrecht; erinnert sei in diesem Zusammenhang an die wegweisende Rede Otto Wels gegen das Ermächtigungsgesetz, der in einer heute prophetisch anmutenden Formulierung bekannte: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Während die Vorgängerpartei der heutigen „Die.Linke“ vierzig Jahre lang eine Diktatur in dem Land erzwang, in dem ich geboren wurde, stellte die 1989 gegründete SDP die Machtfrage und war wesentliche Triebkraft der Friedlichen Revolution. Trotz einiger dunkler Flecken ist die 146 jährige Geschichte der SPD alles in allem eine des Strebens nach Freiheit und Gerechtigkeit. Die SPD geht selbstbewusst und auch kritisch mit ihrer Geschichte um; eine „Überprüfung“ braucht sie daher nicht zu fürchten.
Mit freundlichen Grüßen,
Daniela Kolbe