Daniel Morteza
DIE LINKE
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Frage von Frank G. •

Frage an Daniel Morteza von Frank G. bezüglich Soziale Sicherung

Kurz gesagt, geht es um die überbordende Konkurrenz von Sozialleistungen. In meinem täglichen Geschäft als Leistungssachbearbeiter im Jobcenter habe ich ständig damit zu tun, Kunden aufzufordern Anträge bei anderen Behörden zu stellen, da diese vorrangig sind.

Da wären:
Kindergeld
Unterhaltsvorschuss (Jobcenter haben eine eigene Unterhaltsstelle)
Kinderzuschlag
Wohngeld
Elterngeld
neu Bundesbetreuungsgeld
Berufsausbildungsförderung
BAföG
etc.

Manche dieser Leistungen reduzieren den Anspruch aus Arbeitslosengeld II. Die Kunden haben also keinen Vorteil davon, abgesehen von Freibeträgen (30 EUR), die z.T. für manche dieser Leistungen gewährt werden. Andere Leistungen bzw. nur deren theoretischer Anspruch führen zum völligen Leistungsstopp (z.B. BAföG). Wohl gemerkt, ob von der anderen Stelle Leistungen bezahlt werden oder nicht. (???) Bei Leistungen wie Kinderzuschlag und Wohngeld kann es bei Aufstockern mit einem schwankenden Erwerbseinkommen zu der Situation führen, dass der Leistungsträger beinahe monatlich wechselt. All dies hat für die Kunden, die sich doch eigentlich um ihre Qualifizierung und die Stellensuche kümmern sollen, keinerlei erkennbaren Vorteil und belastet sie zusätzlich. Ein Großteil der sowieso schon knappen Arbeitszeit (hierzu: Stellungnahme der Personalräte der Jobcenter) muss für die gegenseitige Information über evtl. Leistungsbewilligungen oder -entziehungen zwischen den Behörden verwendet werden. Hinzu kommen haufenweise wechselseitige Erstattungsansprüche, also ein hin und her von Geld, das so oder so dem Staat gehört. Sollte ein ohnehin schon sehr konfliktbeladenes Arbeitsfeld (siehe Übergriffe in Frankfurt, Neuss und Leipzig) mit so etwas zusätzlich belastet werden?

Wie sehen Sie diese Situation und wie würden Sie dieser begegnen, wenn Sie in den kommenden Bundestag gewählt werden?

Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Frank Geist,

bitte entschuldigen Sie die späte Antwort.

Sie sprechen in der Tat einen für zahlreiche Menschen zeitintensiven und belastenden Zustand an: das Gerenne von Behörde zu Behörde, von Amt zu Amt, von Antrag zu Antrag in der konkurrierenden Verrechnung unterschiedlicher Sozialleistungen. Um dieser erniedrigenden Logik einen Riegel vorzuschieben, setzen die Forderungen der LINKEN an unterschiedlichen Punkten an: Wir wollen eine inklusive Gesellschaft, in der alle Menschen am gesellschaftlichen Reichtum, an Kultur und Bildung teilhaben und mitbestimmen, wie die Gesellschaft sich weiter entwickelt. Wir fordern bessere Leistungen für Erwerbslose. Im ersten Schritt müssen die Sanktionen beseitigt und die Hartz-IV-Sätze auf 500 Euro erhöht werden. Diese Sofortmaßnahmen würden zwar die Praxis der Verrechnung mit anderen Sozialleistungen nicht beseitigen, aber die materielle Situation vieler EmpfängerInnen von Transferleistungen spürbar verbessern.  

Perspektivisch gilt für uns aber: Das Hartz-IV-System muss weg. Stattdessen soll mittelfristig eine individuelle, bedarfsdeckende, sanktionsfreie Mindestsicherung von 1.050 Euro eingeführt werden. Das bedeutet konkret: eine deutlich höhere Pauschale statt Regelsatz und Kosten der Unterkunft (mit ihren Angemessenheitskriterien) bzw. der bürokratischen Hin- und Herschiebung – abhängig davon, ob im Bedarfsfall Anspruch auf Wohngeld besteht oder nicht. Beides – Mindestsicherung und Wohngeld – würde dann nicht mehr miteinander verrechnet.

Um Kinder wirksam vor Armut zu schützen, wollen wir perspektivisch eine Kindergrundsicherung einführen. Diese wäre eine Art Kindergrundeinkommen, das den von Ihnen zu Recht kritisierten bürokratischen Hickhack (Kindergeld, Regelsatz, Kinderzuschlag  mit den jeweiligen Hin- und Her-Verrechnungen) beseitigen würde. Bis dahin, als weitere Sofortmaßnahme, soll das existierende Kindergeld nicht mehr auf den Regelsatz angerechnet werden, so die Forderung in unserem aktuellen Wahlprogramm.

Übrigens, das kennen Sie sicherlich auch aus Ihrer Praxis: Viele Menschen nehmen Ihnen rechtmäßig zustehende Sozialleistungen nicht in Anspruch und verzichten lieber als von Amt zu Amt verschoben zu werden. Diese sogenannte ‚verdeckte Armut‘ infolge von Nicht-Inanspruchnahme zustehender Leistungen liegt bspw. beim jetzigen Kinderzuschlag bei 68%.

Denn ein grundlegendes Dilemma bleibt: Solange es sich bei den verschiedenen Transfers um bedürftigkeitsgeprüfte Leistungen handelt, wird es immer wieder zu Fragen von Vorrangigkeit von und Verrechnung mit anderen Sozialleistungen kommen. Dieses Problem könnte bspw. ein Grundeinkommen aufheben, das kontrovers diskutiert wird. Zu letzterem gibt es in unserer Partei sehr unterschiedliche Positionen. Ich etwa vertrete die Meinung, dass ein Grundeinkommen, wenn es denn eingeführt werde, nicht bedingunglos, sondern an eine bestimmte Einkommensgrenzen gebunden sein sollte: Warum sollte der Vorstand einer Bank oder eines Dax-Konzernes Anspruch auf ein Grundeinkommen haben in derselben Höhe haben wie bspw. Geringverdienende?

Ich hoffe, ich konnte Ihre Frage hinreichend beantworten. Bei Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Daniel Morteza