Frage an Daniel Freund von Tim G. bezüglich Europapolitik und Europäische Union
Sehr geehrter Herr Freund,
vielen Dank für Ihre rasche und kompetente Antwort. Einigen meiner Fragen sind sie aber ausgewichen. Ich hoffe auch deshalb, dass Sie mir eine Nachfrage erlauben. Zunächst aber verbunden mit meinem ausdrücklichen Dank, dass Sie sich als Mandatsträger für unser Gemeinwohl engagieren. Das gilt für alle Ihre Kolleginnen und Kollegen aus demokratischen Parteien und auf allen Ebenen und es ist mir wichtig, dass auch solche Dinge mal "aus dem Netz" kommen, nicht nur Anfeindungen.
Nun aber zu meinen Nachfragen:
Was genau wollten Sie mir mit Ihrem Hinweis auf die verfassungsmäßigen Befugnisse des Staatspräsidenten von Ungarn sagen? Hat der französische Präsident nicht ähnliche Befugnisse? Ist das eine Erfindung von Viktor Orbán für seinen "Freund"? Inwiefern halten Sie es für despektierlich oder auch überraschend, dass der Präsident, der von der Nationalversammlung gewählt wird, und der Ministerpräsident Parteifreunde sind, wo deren Partei in der Nationalversammlung über eine Mehrheit von 75 Prozent verfügt?
Trifft es zu, dass sowohl die OECD als auch das EU-Parlament in seinem Bericht über die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn die Wahlen, die diese Mehrheiten hervorgebracht haben, als nicht zu beanstanden bezeichnen? Oder wollen Sie bestreiten, dass die derzeitigen Machtverhältnisse in Ungarn das Resultat freier, gleicher und geheimer Wahlen sind?
Trifft es zu, dass sich der derzeitige Präsident Ungarns in seinem Amt sehr für den Schutz der Natur einsetzt und findet das nicht Ihre Unterstützung als grüner Abgeordneter?
Den Bericht aus dem Tagesspiegel wollen Sie ernsthaft als Beleg für die vermeintliche Einschränkung der Pressefreiheit in Ungarn verstanden wissen? Ist Ihnen dabei bewusst, dass sich dieser allein auf einen Bericht auf einer amerikanischen Webseite (https://www.politico.eu/article/hungarian-state-media-not-free-to-report-on-greta-thunberg-human-rights/) stützt, der unspezifisch auf angeblich geleakte E-Mails verweist (ohne freilich zu sagen, wer diese Mal wann an wen geschickt haben soll) und wiederum auf einen Bericht in der Ungarischen Volksstimme (https://nepszava.hu/3058564_ujsagirok-rovid-porazon--tiltott-temak-az-mti-ben), der als Belege für seine Behauptungen so schöne Sätze enthält wie "unsere Quellen glauben ...", ohne dass diese Quellen näher bezeichnet werden? Mit anderen Worten: Haben Sie diese Berichte überprüft und inwieweit halten Sie die für so belastbar, dass man darauf Maßnahmen gegen Ungarn stützen könnte?
Danke für den Hinweis auf die konkrete Strafvorschrift. Inwiefern sehen Sie es als Einschränkung der Pressefreiheit, wenn Falschmeldungen während des Notstands bestraft werden, wenn deren Verbreitung geeignet ist, die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Bekämpfung der Seuche zu beeinträchtigen? So dich die Formulierung. Was sagen Sie dann dazu, dass in Deutschland eine Strafverfahren gegen eine Rechtsanwältin wegen Aufforderung zu Straftaten geführt wird, weil sie auf ihrer Webseite zu Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen aufgerufen hatte? Dies obwohl das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass Demonstrationen nicht grundsätzlich verboten sind und daraufhin eine Demonstration unter Beachtung strnger Hygiene-Maßnahmen gestattet wurde?
Die ungarische Volksstimme befasst sich in dem genannten Artikel im Übrigen mit personellen Veränderungen im ungarischen öffentlichen Fernsehen und stellt reine Mutmaßung darüber an, was die Gründe für die ein oder andere sein könnten. Sehen Sie das als Ausweis einer Einschränkung der Pressefreiheit, die drastische Maßnahmen der EU gegen Ungarn nach sich ziehen sollten?
Wie ist es dann mit der Absetzung des ZDF-Chefredakteurs auf Betreiben des damaligen Ministerpräsidenten Koch? Müsste das nicht auch Sanktionen der EU nach sich ziehen? Wurde dem ZDF nicht zu viel Staatsnähe attestiert und haben Sie dagegen auch protestiert? Oder gegen die Besetzung des Intendantenposten beim Bayrischen Rundfunk mit einem ehemaligen Regierungssprecher? Einem "Freund" Merkels?
Kann es sein, dass Sie in Bezug auf Ungarn mit zweierlei Maß messen? Wann enden denn die Befugnisse der Behörden in Deutschland, derart in Grundrechte einzugreifen. Gibt es da in dem Gesetz, das die Behörden dazu ermächtigt, irgend ein konkretes Datum, wann die Befugnisse enden?
Warum unterzeichnen Sie als Parlamentarier eine Online-Petition (also eine Bitte oder Beschwerde an eine zuständige Stelle oder eine Volksvertretung), obwohl Sie selbst Volksvertreter sind? Haben Sie als solcher nicht andere Möglichkeiten, auf die Kommission einzuwirken? Haben Sie Ihr Fragerecht im Parlament bereits genutzt, die Kommission nach ihren Erkenntnissen zu den Vorgängen in Ungarn und ihren Schlussfolgerungen zu fragen?
Finden Sie es im Übrigen sinnvoll, dass eine Petition, die sich mit Ungarn befasst, in allen möglichen Sprachen u.a. Finnisch abgefasst ist, aber nicht auf Ungarisch?
Bitte sehen Sie es mir nach, aber diese Fragen drängen sich einem halbwegs mündigen Bürger in diesem Zusammenhang halt auf.
Mit freundlichen Grüßen und besuchen Sie unbedingt Ungarn, sobal es wieder geht.
Sehr geehrter Herr Gerber,
Die verfassungsgemäßen Befugnisse an des Ungarischen Staatspräsidenten sind an sich nicht das Problem. Sie haben Recht, dass diese in vielen anderen Staaten ähnlich sind. Es ist die Kombination mit den Notstandsgesetzen, die mir Sorge bereitet. Es bedeutet schlicht, dass es für das Parlament eben doch schwieriger ist, die Notstandsgesetze zurückzuziehen, als von der Ungarischen Justizministerin behauptet. Auch dass Herr Orban mit dem Präsidenten befreundet ist überrascht mich nicht, macht jedoch einen Objektiven Umgang mit den Notstandsgesetzen unwahrscheinlicher.
Ich bezweifle nicht, dass die Wahlen in Ungarn formell korrekt vonstattengegangen sind. Aber Orbans Regierung hat in den letzten Jahren konsequent darauf hingearbeitet, dass man mit 40% der Stimmen (Fidesz) eine absolute Mehrheit im Parlament bekommt.
Wegen eines stark ausgeprägten Mehrheitswahlsystems ist die Repräsentation der Bevölkerung ähnlich verzerrt wie in den USA oder Großbritannien. Die Direktmandate werden nämlich nicht wie in Deutschland so ausgeglichen, dass am Ende wieder eine proportionale Repräsentation rauskommt, sondern werden einfach dazu addiert, was ländliche und konservative Kräfte stärkt.
Es ist toll wenn sich Regierungen aller Parteien an der Bekämpfung der Klimakrise beteiligen. Aber Grüne Werte bestehen nicht nur aus Klimaschutz. Bevor ich Orban applaudiere, hat er sehr viel Nachholbedarf bei Rechtsstaatlichkeit, Anti-Rassismus-Arbeit etc.
Als Beleg für die Einschränkung der Pressefreiheit nehme ich meine persönlichen Gespräche mit ungarischen Journalisten und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft.
Das Problem mit der Bestrafung von 'Falschmeldungen' ist, dass diese nicht klarer definiert werden, es also der Willkür einzelner unterliegt, mehrjährige Haftstrafen zu erteilen. Das sehe ich schon als problematisch.
Auf Ihre Nachfragen zum Öffentlich Rechtlichen Rundfunk, ich habe nie gefordert, dass es Sanktionen als Reaktion auf diese, wenn auch höchst dubiosen Vorgänge geben soll. Trotzdem muss dieser Kontext des Mediensektor beachtet werden, wenn es um die Evaluierung von Gesetzen zur Verfolgung von 'Falschmeldungen' geht.
Als gewählter Abgeordneter habe ich verschiedene Möglichkeiten, meine Themen und Anliegen auf die Tagesordnung zu bringen. Wie Sie selbst erwähnen gehört hierzu das Fragerecht an die Kommission, aber auch meine Arbeit in den Ausschüssen etc. Diese Wege habe ich natürlich genutzt. Als Oppositionspolitiker sind wir aber auch manchmal auf die Unterstützung und den Öffentlichen Druck der Zivilgesellschaft angewiesen. Dafür ist eine Online-Petition ein gutes Mittel.
Die Ungarische Version der Petition finden Sie hier: https://www.change.org/p/european-commission-nincs-karant%C3%A9n-a-demokr%C3%A1cia-sz%C3%A1m%C3%A1ra . Leider hatte die Übersetzung ein paar Tage länger gedauert als bei anderen Sprachen, weshalb Sie die Version vielleicht nicht an den ersten Tagen gefunden haben.
Mit freundlichen Grüßen
Daniel Freund