Warum wird Cannabis als Medizin in Deutschland so selten verschrieben?
Sehr geehrte Frau Schmidt,
ich habe gleich mehrere Krankheiten wo Cannabis als Medizin zugelassen ist. U.a. Borreliose und ADS. Vor kurzem war ich bei einer Größe von 1,80 auf nur noch 47kg. Ich weiß, dass mir Cannabis hilft. Dennoch werde ich überhaupt nicht ernst genommen von Ärzten. Schon als Kind wurde mir Ritalin verschrieben (ein Amphetaminderivat), ich bekomme Opioide, Benzodiazepine, Neuroleptika, Antidepressiva. Alles Medikamente mit stärksten Nebenwirkungen, teils mit enormen Abhängigkeitspotenzial.
Aber bei Cannabis heißt es: "Nein, das ist ja eine Droge". Ich bin froh, wenn ich halbwegs meinen Alltag bewältigt bekomme. Zu dem allem kommt, dass mir, obwohl ich nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs war, mein Führerschein wegen THC verwehrt wurde. Ich hatte einen Job, wurde ausgezeichnet, da ich die beste Prüfung in Hessen hatte. Ohne Führerschein wurde ich arbeitslos.
Was hat die Gesellschaft/unser Land von dieser Kriminalisierung?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr J.,
haben Sie vielen Dank für Ihre Nachricht zur Zulassung von Cannabis für medizinische Zwecke. Zunächst hoffe ich, dass es Ihnen den Umständen entsprechend gut geht! Ich kann Ihre Lage gut verstehen und auch, dass nicht ganz nachvollziehbar erscheint, weshalb für Ihre Situation nicht der von Ihnen favorisierte Therapieansatz gewählt wird.
In der Tat ist es so, dass seit März 2017 Ärztinnen und Ärzte schwerkranken Patienten Cannabisblüten oder Cannabisextrakt in pharmazeutischer Qualität verschreiben können. Damit hat der Gesetzgeber die Möglichkeit einer weiteren Therapierung von bestimmten Krankheitsbildern geschaffen. Das trifft immer dann zu, wenn andere Behandlungsformen nicht zur Verfügung stehen oder nicht möglich sind und nach ärztlicher Einschätzung die Chance besteht, dass sich die Beschwerden dadurch bessern. Ob letzteres der Fall ist, kann jedoch nur Ihr behandelnder Arzt einschätzen.
Die Studienlage bei bestimmten Krankheitsbildern und Anwendungsbereichen von medizinischem Cannabis ist nach wie vor dürftig, das heißt, es ist in einigen Fällen nicht ausreichend oder gar nicht belegt, ob Cannabis die gewünschte Wirkung hat. Mehrere Studien laufen derzeit jedoch und je nach den Studienergebnissen kann auch die Anwendung von Cannabis bei der Behandlung von weiteren Krankheitsbildern auf diese ausgeweitet werden. Zudem treten auch bei medizinischem Cannabis unerwünschte Nebenwirkungen auf, die zu einem Abbruch der Therapie führen können. Weshalb in Ihrem konkreten Fall kein medizinisches Cannabis verschrieben wird, müssen Sie mit Ihrem behandelnden Arzt besprechen. Überdies ist es für den Gesetzgeber nicht möglich, bestimmte Behandlungsformen oder Therapien verpflichtend festzuschreiben.
In der vergangenen Legislaturperiode hat sich der Deutsche Bundestag in einer öffentlichen Anhörung mit den Grenzwerten von THC im Straßenverkehr beschäftigt (https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2021/kw08-pa-verkehr-cannabiskonsum-820562) und verschiedene Expertinnen und Experten zum Thema gehört. Zudem hat die Grenzwertkommission, die sich wissenschaftlich mit der Etablierung von Grenzwerten im Straßenverkehr beschäftigt, einen Entwurf vorgelegt, der die Obergrenze für Cannabis bzw. den THC-Gehalt im Blut neu regeln soll und neue Grenzwerte einführt. Derzeit befindet sich dieser Entwurf bei den zuständigen Fachreferenten des Bundesverkehrsministeriums zur Prüfung. Weiterhin befinden wir uns aktuell in der Beratung einer weitergehenden Legalisierung von Cannabis für Genusszwecke. Auch dies wird den vorliegenden Entwurf noch einmal berühren, weshalb eine sehr sorgfältige Prüfung notwendig ist, damit keine sich widerstreitenden Regelungen beschlossen werden. Nach erfolgreicher Evaluierung wird ein entsprechender Gesetzentwurf vorgelegt werden. Den Ergebnissen bzw. den konkreten Vorschlägen kann ich heute jedoch noch nicht vorgreifen, weshalb ich Sie noch um Geduld bitten muss.
Wenn Sie Fragen haben sollten oder weitere Informationen benötigen, können Sie sich auch jederzeit direkt unter dagmar.schmidt@bundestag.de an mich wenden.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre
Dagmar Schmidt, MdB