Frage an Dagmar Roth-Behrendt von Helga F. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Roth- Behrendt,
in Ungarn herrscht mit bequemer Mehrheit eine Partei (Fidezs), die quasi einen Staatsstreich nach dem anderen durchführt, wie die Beschneidung der Rechte von Journalisten, die Senkung des Pansionsalters für Richter (musste lt. Europ. Gerichtshof zurück genommen werden), die Strafbarkeit von Obdachslosigkeit (widersprach der Oberste Gerichtshof Ungarns), Einschränkungen des Wahlgesetzes etc. Unterlegt ist Fidezs von anti- semitischen und anti- ziganistischen Ideologien. Die im ungarischen Parlament vertretene Jobbik- Partei hat letzte Woche dann gefordert, Juden auf Listen zu erfassen, weil sie eine Bedrohung Ungarns darstellen. Die regierende Fidzs hat dazu keine Stellungnahme abgegeben.
Ungarn ist EU- Land und erhält riesige Subvention aus Mitteln der Steuerbürger aller EU Staaten. Warum, so frage ich Sie als "meine" Europaabgeordnete in Brüssel, unternimmt man nichts gegen die sich in Ungarn abspielenden undemokratischen und rassistischen Entwicklungen bzw. welche Möglichkeiten gibt es, gegen rassische und undemokratische Regierungen in der EU vorzugehen?
Mit freundlichen Grüßen
Dr. H. Foster
Sehr geehrte Frau Dr. Foster,
vielen Dank für Ihre Anfrage zu diesem brisanten Thema.
Es ist - lassen Sie mich das gleich vorweg sagen - wirklich erschreckend, wie die Regierung von Ministerpräsident Orbán in Ungarn ihre Parlamentsmehrheit nutzt, um reihenweise Gesetze auf den Weg zu bringen, die nicht mit meinem Verständnis eines pluralistischen, gerechten und solidarischen Europas zusammen passen.
Die Europäische Union bewegt sich bei der Bewertung der Ereignisse und möglicher Sanktionierung auf einem schmalen Grat. Ungarn beruft sich auf seine Eigenständigkeit und die aus demokratischen Wahlen hervorgegangene, große Mehrheit der Fidesz-Partei im ungarischen Parlament.
Trotzdem ist die Europäische Union insbesondere durch die Kürzung des Pensionsalters der Richter, die Beschränkung der Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten und das neue Mediengesetz zu Beginn dieses Jahres nicht nur besorgt gewesen, sondern hat reagiert.
So haben Sozialdemokraten (S&D), Grüne (Verts/EFA), Liberale (ALDE) und Linke (VEL/NGL) am 16. Februar 2012 eine Resolution im Europäischen Parlament verabschiedet, in der sie die Europäische Kommission mit einer sorgfältigen und umfangreichen Prüfung der ungarischen Rechtsvorschriften beauftragt. Die Resolution finden Sie unter http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=TA&language=EN&reference=P7-TA-2012-53 . Nur die Fraktion der Europäischen Volkspartei hat gegen diese Resolution gestimmt.
Im April hat die Europäische Kommission dann in zwei Fällen Vertragsverletzungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof gegen Ungarn eingeleitet. Sie sieht die Unabhängigkeit der Justiz durch die Herabsetzung des Renteneintrittsalters von Richtern von 70 auf 62 Jahre gefährdet. Die Herabsetzung würde das Ausscheiden von 274 Richtern bedeuten, die dann von der aktuellen Regierung nachbesetzt werden könnten. Im zweiten Fall sorgt sich die Europäische Kommission um die Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten, da dieser von der Regierung abgesetzt wurde.
Wir als sozialdemokratische Fraktion haben uns immer kritisch und mit scharfen Worten gegen die Initiativen und Äußerungen der ungarischen Regierung und einzelner Abgeordneter von Fidesz- und Jobbik-Partei gewandt. Die Diskriminierung einzelner Bevölkerungsgruppen und Minderheiten ist als solche schon widerlich, aber die Art und Weise und die Formulierungen schlagen dem Fass den Boden aus und machen mich wütend.
Leider spricht das Europäische Parlament keine einheitliche Sprache, wenn es um diese ungarischen Ausfälle geht, weil die Europäische Volkspartei die Maßnahmen ihres Parteifreunds Orbán anscheinend unterstützt und seine Aussagen und Initiativen wenn nicht teilt, so doch nicht offen verurteilt. Gleiches gilt leider auch für die Mehrheit des Europäischen Rates, die aus konservativen Regierungschefs besteht und die alle mit Samthandschuhen mit Herrn Orbán umzugehen scheinen.
Es bleibt daher zu hoffen, dass das ungarische Volk bei den nächsten Parlamentswahlen zeigt, was es von der Arbeit von Orbáns Regierung hält.
Mit freundlichen Grüßen
Dagmar Roth-Behrendt