Frage an Dagmar Roth-Behrendt von Moritz von H. bezüglich Verbraucherschutz
Sehr geehrte Frau Roth-Behrendt,
ich habe eine Frage bezüglich der Revision der EU-Finanzmarktrichtlinie MiFID „Markets in Financial Instruments Directive“.
Ich war überrascht zu erfahren, dass die S&D-Fraktion am 26. September im letzten Moment einen Antrag stellte, demzufolge Finanzinstitute nicht mehr die Provision offenlegen UND an den Kunden ausschütten müssen, sondern nur noch eines von beidem.
So wird das Kernproblem, nämlich der Interessenkonflikt der Berater, kaum berührt. Meiner Ansicht nach ist eine qualitativ hochwertige Beratung unmöglich, wenn die Provisionen an die Berater fließen. Die Argumente sind im Brief des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen vom 23.10., der Ihnen vorliegt, (s. auch http://www.vzbv.de/10518.htm ), dargelegt und ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Wie gedenken Sie am Freitag, den 26.10. abzustimmen? Werden Sie sich für ein Ende des Interessenkonflikts in der Finanzberatung einsetzen?
Mit freundlichen Grüßen
Moritz von Heimendahl
Sehr geehrter Herr von Heimendahl,
herzlichen Dank für Ihre Frage zu der Revision der EU-Finanzmarktrichtlinie MiFID (Markets in Financial Instruments Directive).
Das Europäische Parlament hat in seiner Plenarsitzung am 26. Oktober 2012 in Straßburg mit einer klaren Mehrheit (495 Ja-Stimmen, 15-Nein Stimmen, 19 Enthaltungen) die Revision der MiFID-Richtlinie verabschiedet. Der von Berichterstatter Markus Ferber (EVP, Deutschland), Robert Goebbels (S&D, Luxemburg) und Olle Schmidt (ALDE, Schweden) verhandelte Kompromiss wurde von der Fraktion der Sozialdemokraten, inklusive der SPD-Gruppe, unterstützt. Dieser Kompromiss beinhaltet aus Sozialdemokratischer Sicht an entscheidenden Stellen deutliche Verbesserungen.
Der Gesetzestext erlaubt die Zahlung von Provisionen nur noch in den drei folgenden Fällen: Provisionen werden in ihrer Gesamtheit an den Kunden weitergereicht. Provisionen dienen allein zur Deckung der bei Beratung und Anlage entstandenen Kosten und Gebühren. Provisionen werden bei Geschäftsabschluss an den verkaufenden Berater oder das verkaufende Institut entrichtet, der Kunde wird aber umfassend über Art und Höhe der Provisionen und wer diese erhält informiert. Zudem verpflichtet eine bindende Revisionsklausel die Europäische Kommission dazu, nach dreieinhalb Jahren sowohl das Modell der Provisionsberatung als auch das der Honorarberatung kritisch auf Funktionsweise und Verbraucherfreundlichkeit hin zu überprüfen. Zukünftig dürfen sich Berater nicht mehr "unabhängig" nennen, wenn sie beim Verkauf von Finanzprodukten Provisionen erhalten, und müssen den Kunden darüber in Kenntnis setzen. Durch dieses Provisionsverbot für unabhängige Berater wird der Begriff ´unabhängige Beratung´ als starkes Gütesiegel etabliert, dass als Orientierungshilfe für Verbraucher dienen kann. Damit verschärft die MiFID II-Gesetzgebung jenes MiFID I-Paket, das sich in der Vergangenheit als unzureichend erwiesen hat. Gleichzeitig bleibt es jeder Anlegerin und jedem Anleger die Wahl, ob er nun kostenfreie Provisionsberatung oder eine kostenpflichtige Honorarberatung in Anspruch nehmen möchte. Außerdem stellt es die MiFID- Richtlinie jedem Mitgliedstaat durchaus frei, ein umfassendes Verbot von Provisionszahlungen durch nationale Gesetzgebung zu beschließen. Besonders dieser Aspekt wurde in der medialen Berichterstattung zunächst nur unzureichend aufgegriffen.
In den Verhandlungen um ein Provisionsverbot war es die Aufgabe der Mitglieder des Europäischen Parlaments Reformansätze zu finden, die nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis der Mitgliedstaaten zu weniger Fehlanreizen führen und Verbrauchern ein gesteigertes Maß an Transparenz, Wahlfreiheit und Schutz ihrer Interessen bieten. In der Tat muss die Beratung und der Vertrieb von Finanzprodukten grundlegend reformiert werden. Jedoch muss Finanzberatung besser und transparenter und nicht einfach teurer werden. Eliteberatung ausschließlich für Vermögende und Besserverdiener kann nicht das Ziel sein. Der Einstieg in eine reine Honorarberatung, wie von Grünen und britischen Konservativen gewünscht, gefährdet das flächendeckende Angebot professioneller Beratung für alle - vor allem für Anlegerinnen und Anleger mit begrenzten Mitteln.
Aus diesem Grund und in Hinblick auf die aktuell zur Verfügung stehenden Beratungsinfrastruktur ist aus Sicht der Sozialdemokraten mit dem verabschiedeten Kompromiss ein guter Mittelweg erzielt worden. Dieser Mittelweg ist die sinnvolle Abwägung zwischen der Verschärfung der Regulierung des Anlagemarktes für Finanzprodukte und der Verbesserung des Verbraucherschutzes auf der einen Seite und der Erhaltung der Wahlfreiheit für den Kunden sowie der Verfügbarkeit professioneller Anlageberatung für alle auf der anderen. Als deutsche SPD-Gruppe im Europäischen Parlament haben wir uns diese Abwägungsentscheidung nicht einfach gemacht und alle Argumente, die an uns herangetragen wurden, kritisch geprüft.
Wie weiter oben schon angesprochen, ist in der Berichterstattung zu den Beratungen über das MiFID II-Paket und der Frage des Provisionsverbots von Mitbewerbern bedauerlicherweise vereinzelt auch der Eindruck erweckt worden, die sozialdemokratische Fraktion habe sich in letzter Minute wider besseres Wissen gegen eine Neuregulierung der Anlagemärkte für Finanzprodukte gewendet und einer nur allzu halbherzigen Reform zur Durchsetzung verholfen. Dieser Darstellung widersprechen wir Sozialdemokraten ausdrücklich. Für die sozialdemokratische Fraktion sind die Verhandlungen, wie dies im Europaparlament angesichts der Fülle von Gesetzgebungsverfahren üblich ist, von unserem Schattenberichterstatter Robert Goebbels geführt worden. Die Berichterstatter haben bis zuletzt nach einem möglichst kundenfreundlichen, in der Praxis wirkungsvollen Kompromiss gesucht, der nicht in einer ausschließlichen Elitenberatung endet. Der Kompromissantrag hierzu wurde vom EVP-Berichterstatter mit den Schattenberichterstattern von S&D sowie Liberalen verhandelt und technisch durch den S&D Schattenberichterstatter eingebracht.
Zwischenzeitliche, am britischen Modell der Honorarberatung orientierte Übereinkünfte zwischen britischen Konservativen und Grünen wurden leider vielfach als bereits abgeschlossene Positionsbestimmung des ECON-Ausschusses missverstanden. Sie wurden von britischen Abgeordneten und grünen Vertretern als Abschaffung des Provisionsmodells gefeiert. Dabei wird jedoch verschwiegen, dass eine Umstellung auf reine Honorarberatung ohne erhebliche sozialstaatliche Begleitung und Ausweitung öffentlicher oder öffentlich garantierter Beratungsleistungen zum Zwangshonorar für alle führt, insbesondere für Kleinsparer, unabhängig davon ob sie ein Produkt abschließend erwerben oder nicht. Tatsächlich gab es unter den Berichterstattern der Fraktionen im Ausschuss keine Mehrheit für einen solchen sofortigen Systemwechsel. Angesichts der in diesem Schreiben skizzierten Auswirkungen und reell im Markt existierenden Bedingungen ist dies auch einleuchtend.
Mit freundlichen Grüßen,
Dagmar Roth-Behrendt