Frage an Dagmar Enkelmann von Jutta P. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Dr. Enkelmann,
ist Ihrer Meinung nach eine vollverschleierte Kursteilnehmerin in einen Integrationskurs aufzunehmen? Die hauptamtlichen MitarbeiterInnen einer Bildungseinrichtung haben sich mehrheitlich dafür ausgesprochen, während die Honorardozentinnen sich mehrheitlich weigern. Wir Dozentinnen meinen u.a., dass zu einer offenen Gesellschaft ein offenes Gesicht gehört. Ein Argument der Hauptamtlichen ist das Antidiskriminierungsgesetz. Diskriminiere ich also eine Vollverschleierte, wenn ich sie bitte, im Integrationskurs ihr Gesicht zu zeigen??? Steht dazu irgendwas im Antidiskriminierungsgesetz?
Mit freundlichen Grüßen
Jutta Paust
Sehr geehrte Frau Paust,
auch ich finde es besser, wenn mein Gegenüber in einem Gespräch oder in einer Unterrichtssituation auch im wörtlichen Sinne Gesicht zeigt. Aus rein rechtlicher Sicht kann ein Ausschluss von der Teilnahme bzw. eine Aufforderung zur Ablegung des Schleiers nach Ansicht von Rechtsexperten als eine unzulässige Benachteiligung nach dem Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz bewertet werden. So ist zum Beispiel im § 19 Abs. (1) Satz 1 geregelt, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes – in diesem Fall Religion - bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen ... unzulässig ist.
Auch aus politischer Sicht kann man der Aufforderung, den Schleier abzulegen, skeptisch gegenüberstehen. Bei Vertretern anderer Kulturkreise sollten wir meiner Meinung nach vor allem auf den Dialog und nicht auf Repression setzen. Ein Integrations- bzw. der Orientierungskurs wäre doch einer der Orte, bei dem Gelegenheit wäre, über grundlegende Rechte von Frauen und die säkulare Verfasstheit der Bundesrepublik hinweisen. Dort wäre auch der Ort, um sachlich und ohne Besserwisserei über patriarchale Strukturen in den Religionen und der Gesellschaft zu diskutieren, ohne dies an der Person der Verschleierten fest zu machen.
Darüber hinaus ist es doch Ziel des Integrationskurses gerade, auch den Teilnehmerinnen den Spracherwerb zu ermöglichen. Dieses muss allen ermöglicht werden, denn gerade das Deutschlernen soll doch den Handlungsspielraum für Frauen - und natürlich auch für Männer - in der Bundesrepublik erweitert.
MdB Dr. Dagmar Enkelmann