Frage an Dagmar Enkelmann von Minhard S. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrte Frau Dr. Enkelmann,
kommentieren Sie kritisch die folgende Aussage:
"Der Kapitalismus schafft die Arbeit ab".
Minhard Stilla
Sehr geehrter Herr Stilla,
zur These, der Kapitalismus schafft die Arbeit ab, könnte man ellenlang argumentieren, ich will mich auf ein paar kurze Bemerkungen beschränken.
Auf den ersten Blick spricht viel für die These. Schließlich hat es der heutige Kapitalismus augenscheinlich geschafft, immer mehr Güter und Dienstleistungen mit einem immer geringer werdenden Einsatz menschlicher Arbeitskraft zu erzeugen.
Schaut man aber genauer hin, bleibt im Kapitalismus auch jede Menge Arbeit in den Bereichen Soziales, Umwelt, Infrastruktur und Bildung ungetan. Offenbar ist nicht die Arbeitsgesellschaft an sich in der Krise, sondern es erweist sich als immer problematischer, dass diese Arbeitsgesellschaft den kapitalistischen Verwertungsbedingungen unterworfen wird. Nur gewinn- und profitversprechende Arbeit wird nachgefragt, nur hochproduktive Arbeit ist im kapitalistischen Sinne konkurrenzfähig. Die Kehrseite dessen ist: Immer mehr Arbeit wird unter sozial äußert fragwürdigen Standards geleistet.
Dass man angesichts dieser Missstände, der Mühsal der Arbeit und der steigenden Arbeitslosigkeit zu der These kommt, der Kapitalismus schaffe die Arbeit ab, verwundert mich nicht. Abgeschafft wird aber nicht die Arbeit, sondern es verschwinden die humanistischen Maßstäbe fürs Arbeiten. Statt die Arbeitszeit zu verkürzen, wird sie verlängert; statt den Arbeitenden angemessen zu entlohnen, gibt es nur Armutslöhne, statt den Arbeitenden mit dem Fortschritt der Technologie neue kreative Freiräume zu verschaffen, wird er immer stärker der Kontrolle anonymer Mächte unterworfen.
Ich meine, die Verfechter dieser These nehmen die Unfähigkeit des heutigen Kapitalismus, der Arbeitswelt im Ganzen wie der Erwerbsarbeit im Einzelnen ein menschliches, humanistisches Antlitz zu geben, als Indiz dafür, dass die Arbeit an sich ausgeht, dass die Arbeit als wertschöpfende menschliche Tätigkeit am Ende ist. Das Letztere halte ich für einen grundlegenden Irrtum und gehe da eher mit Friedrich Engels, der die Arbeit nicht nur als wesentliche Bedingung der Menschwerdung betrachtete, sondern auch als eine Grundbedingung menschlichen Seins. Deswegen plädiere ich dafür, letztlich nicht die Arbeit, sondern den Kapitalismus abzuschaffen.
mit freundlichen Grüssen
Dagmar Enkelmann