Frage an Dagmar Enkelmann von Werner Dr. S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Dr. Enkelmann,
vielleicht erinnern Sie sich an unser kurzes Gespräch auf dem Altlandsberger Marktplatz. Meine Auffassung war, dass für Menschen mit Behinderungen wenig Platz im neuen Programm der Linken sei. Sie widersprachen. Nun, ich habe mir das Programm angesehen und finde mich meiner Auffassung zumindest teilweise bestätigt. Nur wenige plakative Positionen sind zu finden (Seiten 6, 7, 31), die direkt auf eine Behindertenpolitik schließen lassen. Wir sind doch sicher einer Meinung, dass die große Randgruppe (1.000.000 oder mehr?) geistig, seelisch oder psychisch behinderter Menschen in der heutigen Gesellschaft keine sonderliche Akzeptanz besitzen. Im Gegenteil und hin und wieder wird sogar die Frage nach dem Lebenswert dieser Menschen aufgeworfen und sie sollten doch gar nicht erst zur Welt kommen. Soweit ich die Auslassung der anderen im Bundestag vertretenen Parteien kenne, geht niemand auf die Bedürfnisse, Wünsche und Hoffnungen dieser Menschengruppe in der heutigen Gesellschaft ein. Ich bin der Auffassung, wenn nicht die staatliche Euthanasie in der Zeit des Faschismus in Deutschland aber auch in anderen europäischen Ländern gewesen wäre, würde es diesen Menschen wesentlich schlechter gehen. Ja, es wird staatlicherseits mehr für diese Menschen getan, als es in der DDR oder auch bis Ende der siebziger Jahre in der BRD realisiert wurde. Politische oder gesellschaftliche Veränderungen in der Haltung zu diesen Menschen stagnieren aber und finanzielle Mittel zur Betreuung und Begleitung werden direkt oder indirekt gekürzt. Wie will nun die Linke auch programmtisch die Situation in der gesellschaftlichen Teilhabe verändern? Wenn die UNO-Konvention, Inklusion und Antidiskriminierung wahrhaftig umgesetzt werden sollen, dann bedarf es neuer Überlegungen hinsichtlich der Bereitstellung finanzieller und personeller Ressourcen sowie eines politischen Willens dafür. Ich bin gern zu weiterer Diskussion bereit.
Mit freundlichen Grüßen
Werner Stephan
Sehr geehrter Herr Dr. Stephan,
an unser Gespräch während meiner Sprechstunde unter freiem Himmel erinnere ich mich gern. Dass Sie dann selbst einen Blick ins Programm riskierten, freut mich. In ein Parteiprogramm gehören, wie ich finde, zum einen plakative Forderungen. Daran ist nichts Ehrenrühriges.
Dass - zum anderen - der Entwurf des Programms behindertenpolitische Aspekte noch nicht angemessen berücksichtigt, das kritisiert auch die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Selbstbestimmte Behindertenpolitik der Partei DIE LINKE. Die BAG erarbeitet daher momentan Änderungsanträge, um insbesondere in der Präambel die Thematik Menschen mit Behinderungen stärker zu verankern und das Thema Barrierefreiheit als Querschnittsforderung im gesamten Programm festzuschreiben. Sie können insofern davon ausgehen, dass daran gearbeitet wird, den Stellenwert der Behindertenpolitik im Programmentwurf zu erhöhen. Diese Bemühungen haben selbstverständlich meine Unterstützung.
In einem Parteiprogramm werden dabei Grundsatzpositionen aufgeführt. Die inhaltliche Ausgestaltung liegt dann u.a. in den Händen der Linksfraktionen in den Parlamenten. So hat auch die Fraktion DIE LINKE im Bundestag bereits zahlreiche parlamentarische Initiativen eingebracht, um die Situation von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Im Kern dieser Aktivitäten stand und steht die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Daraus abgeleitet fordert die Linksfraktion mehr Teilhabe und freie Persönlichkeitsentfaltung durch Schaffung barriere- und diskriminierungsfreier Verhältnisse sowie das Verständnis von Vielfalt als Bereicherung. Es geht dabei nicht um Minderheitenschutz, sondern um Rechtsansprüche, um die Humanisierung der Gesamtgesellschaft. Leider wurden die Initiativen stets von der parlamentarischen Mehrheit abgelehnt. Hierzu zählen z.B.:
- Gesetzentwurf zur Änderung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Fristen für die Feststellung der Behinderung und Erteilung des Ausweises (Drucksache Nr. 17/6586);
- Antrag, Europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2010 bis 2020 unterstützen (Drucksache Nr. 17/5043);
- Antrag, Kostenvorbehalt in § 13 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch streichen - Selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Behinderungen gewährleisten (Drucksache Nr. 17/4911);
- Änderungsantrag, Änderungsantrag zum Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen (…) - Regelbedarfsstufe 3 (Drucksache Nr. 17/4084);
- Gesetzentwurf, Entwurf eines Gesetzes zur Ausweitung der Assistenzpflege auf Einrichtungen der stationären Vorsorge- und Rehabilitation (Drucksache Nr. 17/3746);
- Antrag; Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vorlegen (Drucksache Nr. 17/1578);
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Dagmar Enkelmann