Frage an Dagmar Enkelmann von Jens Veit G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Dr. Enkelmann
in der politischen Diskussion wird gegen die diversen Rettungspakete für die einzelnen Mitgliedsländer der EU ins Feld geführt, daß diese Pakete in Wirklichkeit Rettungspakete für Banken und Versicherungen sind, keinesfalls die angegebenen Ziele erreichen können und darüber hinaus verfassungswidrig sind.
Deshalb läuft auch eine Verfassungsklage der Professoren Hankel, Schachtschneider, Nölling Starbatty, und Spethmann.
Linke Ökonomen stimmen – so Professor Hankel auf der Pressekonferenz dazu am 23.02.2011 http://pressekonferenz.tv/ondemand/ProEuropa23022011.html – der europäischen Transferunion prinzipiell zu, die ja absolut negative Konsequenzen auf den deutschen Sozialstaat hat, für den sich Linke ja eigentlich vorgeben einzusetzen.
Wie sehen Sie das? Und wie haben Sie am 22.02.2011 im Parlament abgestimmt in der Frage zur Haushaltskompetenz des deutschen Parlamentes zum Haushalt Deutschlands?
Haben Sie den Blankoscheck nicht bestimmter Dauer und nicht bestimmter Höhe für Rettungspakete aus deutschen Steuermitteln mitgetragen? Oder haben Sie ihn abgelehnt?
Hatten alle Abgeordneten ausreichend Zeit, die Abstimmungsunterlagen zu lesen und zu prüfen?
Wenn tatsächlich nein – wie Professor Nölling in o.g. Pressekonferenz erwähnt– wieso stimmen Abgeordnete dann ab, wenn sie nicht wissen, über was sie abstimmen?
Vielen Dank für Ihre Antworten.
Mit freundlichen Grüßen
Jens Veit Günther
Sehr geehrter Herr Günther,
die Bundesrepublik ist gegenwärtig die größte Nutznießerin der Währungsunion und der bestehenden Eurozone. Denn dorthin erzielt die bundesdeutsche Wirtschaft die größten Export- und Bilanzüberschüsse. Die Schulden der anderen Länder, die Sie beklagen, sind zu großen Teilen Guthaben der Bundesrepublik. Die Bundesrepublik hatte und hat also ein großes Interesse an den EU-Rettungspaketen. Im Übrigen wurde der Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, Gregor Gysi, bei der von Ihnen angeführten Pressekonferenz von Prof. Starbatty für seine Ausführungen zu den Problemen der übermäßigen Exportorientierung der Bundesrepublik lobend zitiert und ebenso Gysis Warnung vor der damit drohenden Spaltung Europas.
DIE LINKE kritisiert grundsätzlich die Verordnung von Sparpaketen in der Bundesrepublik selbst wie für andere Ländern. Die Ausweitung von Schuldenbremse und Agenda 2010 auf ganz Europa sprengt Europa wirtschaftlich, sozial und politisch. Die Bevölkerungsmehrheit in Europa soll für die Euro-Rettung haften, die Banken werden weiter gefüttert.
Ein Hauptproblem ist weiter, dass die Überschüsse und die vergleichsweise gute wirtschaftliche Lage hierzulande nicht bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommen. Ich kann verstehen, dass viele Menschen angesichts stagnierender Einkommen dem Euro und den Rettungspaketen zweifelnd gegenüberstehen und zu Recht den Eindruck haben, dass es nur darum geht, Banken und Versicherungen zu retten. DIE LINKE fordert hier seit langem mehr soziale Gerechtigkeit, einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in der Bundesrepublik, die Abschaffung von diskriminierender Leiharbeit und eine Mindestsicherung von mindestens 500 Euro.
Die Bundesregierung darf auch einer gemeinsamen Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der EU nicht länger im Weg stehen. Erste Voraussetzung dafür ist, dass Deutschland beim Abbau der wirtschaftlichen Ungleichgewichte vorangeht. Dazu gehören vor allem höhere Löhne und eine Verpflichtung auf ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht der EU-Mitgliedsstaaten, um die deutsche Binnenwirtschaft zu stärken und die Auslandsverschuldung der Euro-Partner zu reduzieren. Darüber hinaus muss endlich eine Finanztransaktionsteuer eingeführt werden, um die Spekulation bereits im Keim zu ersticken.
Zu Ihrer konkreten Frage nach dem Abstimmungsverhalten am 22.02.2011 kann ich Ihnen keine Auskunft geben, weil an diesem Tag der Deutsche Bundestag keine Plenarsitzung hatte und es entsprechend im Plenum keine Abstimmung zur Haushaltskompetenz des Parlamentes gegeben hat. Die Fraktion DIE LINKE beschloss zu dem von Ihnen erwähnten Thema am 22.02.2011 allerdings einen Antrag (Drs. 17/4882) zum Entwurf eines Beschlusses des Europäischen Rates zur Änderung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedsstaaten, deren Währung der Euro ist - Ratsdok. 17620/10 (EUCO 30/10).
Den Antrag können Sie unter diesem Link einsehen: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/048/1704882.pdf Die Unterlage befindet sich jetzt in den Ausschussberatungen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Dagmar Enkelmann