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Frage von Andreas M. •

Frage an Dagmar Enkelmann von Andreas M. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrte Frau Dr. Enkelmann

Vollbeschäftigung!
In einer Zeit der Überproduktion, gefüllte Lager und Halden, Absatzeinbrüche von renommierten Firmen - meinen Sie nicht auch, dass Vollbeschäftigung wie wir sie kennen völlig utopisch ist? Einige Politiker gehen ja mit Äusserungen "Arbeit für alle" an die Öffentlichkeit. Da werden viele Menschen, die im realen Leben um ihre Existenz kämpfen verhöhnt. 1 Euro Jobber (sind sinnentleerte Therapien), Arbeitslose, 160 und 400 Euro Teilzeitkräfte - das sind ja keine lebenserfüllenden Bedingungen.

Ich vermisse hierzu Aufklärung von sämtlichen politischen Parteien und ganz klaren Aussagen und Ansagen, dass es keine Vollbeschäftigung mehr geben wird.
Wie aber stellt sich die Politik zu dieser bitteren Wahrheit!
Was wird dagegen unternommen?
Welche Alternativen bietet die Politik, sprich welche Rahmenbedingungen schafft sie für dieses ganz reale Szenario?
Die Menschen in diesem Land wären dankbar, wenn das Problem aufgegriffen wird und über gesamtgesellschaftliche Lösungen nachgedacht wird.

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Milinski,

um Ihre Frage zu beantworten, müsste man eigentlich ein ganzes Buch schreiben. In der hier nötigen Kürze würde ich zunächst zu bedenken geben, ob Überproduktion, gefüllte Lager und Absatzeinbrüche wirklich ein Zeichen dafür sind, dass Vollbeschäftigung "utopisch" geworden ist.

Es gibt jede Menge Arbeit, die nicht auf eine überquellende und nicht selten überflüssige Herstellung von Waren hinausläuft. Ich meine damit vor allem die so notwendige und vielfach völlig unter Wert bezahlte "Arbeit am Menschen" - also Bildung, Gesundheit, Pflege, Sozialarbeit, Kunst und Kultur als auch Wissenschaft und Forschung.

Es ist sicher richtig, dass Losungen, Vollbeschäftigung sei (politisch) möglich, heute in die Welt gesetzt werden, um insbesondere auf Langzeitarbeitslose einen entsprechenden Druck auszuüben, flankiert mit dem "Argument": Jede, noch so schlecht bezahlte Arbeit sei besser als gar keine. Es ist keine Frage, dass die LINKE diese Position nicht teilt. Entsprechend fordert DIE LINKE im Wahlprogramm auch, dass z.B. mit Hartz IV auch die ganze Begleitmaschinerie von Bedarfsgemeinschaften, Zumutbarkeitsklauseln und Ein-Euro-Jobs abgeschafft werden muss.

Der heutige, mehr als kritikwürdige Zustand der Arbeitswelt darf meiner Ansicht nach nicht zum Anlass genommen werden, um den Wert der Arbeit oder ihren Sinn gänzlich in Frage zu stellen. Es stimmt auch, dass immer weniger Arbeitskraft benötigt wird, um die zum Leben nötigen Waren herzustellen. Auf dieser Basis wird es sicher keine Vollbeschäftigung mehr geben können. Diese Wahrheit ist für DIE LINKE jedoch keine "bittere" - sie sieht gerade darin eine Chance, die und den Arbeitenden von der tagtäglichen Maloche zu befreien. Es ist doch eine große zivilisatorische Errungenschaft, dass nicht mehr jeder sein Leben lang mit ganzer Anstrengung arbeiten muss, damit die Gesellschaft ihr Auskommen hat. Damit ist wirklicher menschlicher Fortschritt möglich geworden - ganz im Sinne von Marx, dass für den einzelnen Menschen nicht die von äußeren Zwängen bestimmte Arbeitszeit, sondern die "disposable time" der Reichtum selbst ist.

Um diesem Maßstab gerecht zu werden, braucht es, wie Sie zu recht betonten, gesamtgesellschaftliche Lösungen. Dazu gehört eben, den erarbeiteten gesellschaftlichen Reichtum so zu verteilen und zu nutzen, dass eine moderne, emanzipative Arbeitswelt möglich wird. So setzt sich DIE LINKE dafür ein, einen öffentlichen Beschäftigungssektor mit klaren tariflichen Konditionen zu schaffen. Die LINKE ist für kürzere Arbeitszeiten, bei denen vor allem untere Lohngruppen einen finanziellen Ausgleich erhalten. Die LINKE ist für ein öffentliches Investitionsprogramm, mit dem eben, auf den ersten Blick "nichtproduktive" Bereiche wie Bildung, Wissenschaft und öffentliche Daseinsvorsorge gestärkt werden. Auch das Verhältnis von "normaler" Erwerbsarbeit, Familienarbeit und anderen, notwendigen, aber bisher unbezahlten Arbeiten muss neu austariert werden.

Wenn die Menschen weniger im klassischen Sinne arbeiten, werden sie auch mehr Möglichkeiten haben, um sich ehrenamtlich in der Politik, in Vereinen, Bürgerinitiativen zu engagieren. Oder sie nutzen die Zeit einfach für Familie und persönliche Interessen, seien es Reisen, Sport, Kunst oder anderes. All dies ist nicht kostenlos und gänzlich ohne Umweltverbrauch zu haben. Eine zukunftsfähige Arbeitswelt erfordert insofern zuallererst einen gerechten Umgang mit allen Ressourcen der Gesellschaft, seien diese finanzieller oder ökologischer Natur.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Dagmar Enkelmann