Frage an Cornelia Pieper von Marie-Luise S. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrte Frau Pieper,
ich habe eine Frage bezüglich der allgemeinen Arbeit als Mitglied des deutschen Bundestags: welches Verhältnis besteht Ihrer Meinung nach zwischen der durch den Grundgesetzartikel 38 vorgeschriebenen/ gewährleisteten Gewissensverpflichtung eines Abgeordneten und der Pflicht, Vertreter des gesamten Volkes zu sein?
In freudiger Erwartung Ihrer Antwort verbleibe ich mit freundlichen Grüßen,
Marie-Luise Schwarzer
Sehr geehrte Frau Schwarzer,
ich danke Ihnen vielmals für Ihr Schreiben vom 26. Januar und das Interesse an meiner Arbeit bzw. des Deutschen Bundestages.
In der Bundesrepublik Deutschland gilt der Grundsatz des freien Mandats, der durch Artikel 38 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich verankert ist. Um diese Norm geht es schwerpunktmäßig auch bei Ihrer Anfrage. Hinter dem Grundsatz des freien Mandats steht die Absicht, die persönliche Verantwortung jedes einzelnen Abgeordneten aufzuwerten und ihn gegen Druckausübung und unzulässige Einflussnahme durch Wähler, seine Partei oder Interessenverbände zu schützen. Es geht also nicht nur um Pflichten, sondern auch um die Rechte der Abgeordneten.
Mit der Beschreibung der Abgeordneten als „Vertreter des ganzen Volkes“ kommt das so genannte Repräsentationsprinzip zum Ausdruck. Das bedeutet nicht etwa die Verpflichtung für Abgeordnete, einer vermeintlichen Bevölkerungsmehrheit oder Mehrheitsmeinung anhängen zu müssen. Die Abgeordneten sind nicht einem Bundesland, einem Wahlkreis, einer Bevölkerungsgruppe, sondern dem ganzen Volk gegenüber verantwortlich. Die vom Volk ausgehende Staatsgewalt nach Artikel 20 wird vom Parlament insgesamt, von allen Mitgliedern des Bundestages, ausgeübt. Das bedeutet aber nicht, dass ich persönlich mich als Bundestagsabgeordnete meinem Heimatwahlkreis und den Menschen vor Ort nicht besonders verpflichtet fühlen dürfte. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Nur die Verantwortlichkeit meines politischen Handelns und das meiner Kolleginnen und Kollegen endet nicht an den Grenzen des jeweiligen Wahlkreises.
Im politischen Alltag steht der Grundsatz des freien Mandats ehrlich gesagt schon in einem gewissen Spannungsverhältnis zu Artikel 21. Dort heißt es: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Durch Artikel 21 wird die Stellung der Parteien gestärkt und der Handlungsspielraum des einzelnen Abgeordneten erfährt gleichzeitig eine gewisse Einschränkung. Hier kommt natürlich wiederum die Gewissensfreiheit ins Spiel, die für alle Entscheidungen gilt und nicht nur für solche, die einen Abgeordneten tatsächlich in eine „Gewissensnot“ bringen. Grundsätzlich haben diese Maßstäbe auch Gültigkeit im Verhältnis der Abgeordneten zu den Fraktionen. Denn deren Beschlüsse sind im Prinzip unverbindlich, allerdings ist es natürlich wünschenswert, wenn eine Fraktion möglichst geschlossen auftritt, um auch eine entsprechende Durchsetzungskraft im Bundestag zu haben. Schließlich geht es vor allem den Regierungsfraktionen darum, im Parlament auch eine Mehrheit für die eigenen Initiativen zu bekommen. Es ist aber selbstverständlich, dass Abgeordnete auch gegen die Mehrheitsmeinung der eigenen Fraktion stimmen (dürfen), beispielsweise wenn es um Auslandseinsätze der Bundeswehr, oder Themen geht, die Ethik und Moral betreffen und daher wiederum Gewissensentscheidungen sind.
Ich wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute und verbleibe
mit freundlichen Grüßen nach Halle
Ihre
Cornelia Pieper, MdB