Frage an Claudius Lieven von Marie E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Lieven,
ich verfolge seit einiger Zeit die Diskussion um das Feierabend-Parlament in den Medien. Hamburg ist das einzige Bundesland mit einem solchen Parlament.
Sind sie dafür oder dagegen?
Nennen Sie bitte Gründe!
Vielen Dank und mit freundlichen Grüßen,
Marie Erdmann
Sehr geehrte Frau Erdmann,
ich bin in der Frage des Feierabendparlaments etwas gespalten. Einerseits ist dies m.E. eine sympathische und sparsame Tradition der Stadtrepublik Hamburg, andererseits entspricht sie nicht mehr wirklich den Realitäten des politischen Betriebs. Im früherer Zeit hatte die Bürgerschaft weniger Aufgaben als es ein Landesparlament heute hat (wobei Aufgaben nicht mit Entscheidungsrechten gleichzusetzen ist) und ihre Mitglieder stammten zu einem großen Teil aus der Hamburger Patrizierschaft, die ihr Mandat ehrenamtlich wahrnahmen.
Als Vorteil der berufstätigen Abgeordneten wird immer wieder genannt, dass diese ihren Bezug zur Arbeitswelt nicht verlieren und weniger die Welt durch die Brille der "Berufspolitiker" zu sehen. So richtig dies auf der einen Seite ist, so sehr muss man auch die Gefahr der Interessenkollision bei Abgeordneten sehen, die wichtige wirtschaftliche Positionen besetzen. Auch das Problem der Besetzung wichtiger Posten in öffentlichen Unternehmen durch Abgeordnete gab und gibt es in Hamburg immer wieder. In den vergangegen Jahrzehnten war ein nicht unerheblicher Anteil der Mitglieder der Bürgerschft im öffentlichen Dienst beschäftigt (dies scheint mir gegenwärtig weniger zu werden), deren Arbeitgeber ihnen bei der Wahrnehmung ihrer Mandatspflichten entgegenkam. Heute wird dies m.E. zunehmend schwieriger, in der "freien Wirtschaft" kollidieren berufliche und Mandatsverpflichtungen empfindlich, nicht primär wegen Interessenkonflikten als schlicht aus zeitlichen Gründen. Auch wenn man als Abgeordneter bestimmte Freistellungen geltend machen kann hat ist dies bei der Berufstätigkeit hinderlich. In der GAL Fraktion ist u.a. dadurch nur noch der kleinere Teil der Abgeordneten neben der Mandatsausübung berufstätig. Insofern wäre es konsequent, die Illusion des Feierabendparlaments aufzugeben und eine den Realitäten angemessenere Lösung anzustreben. Allerdings sollte man sich dann Fragen, ob ein Stadtstaat wie Hamburg 121 Vollzeitabgeordnete braucht. Andere Bundesländer zeigen, dass es auch mit weniger Abgeordneten geht. In dieser Richtung könnte m.E. ein Gegengewicht zur "Professionalisierung" gefunden werden, damit auch die Kosten nicht plötzlich erheblich wachsen. Dies kollidiert nun leider mit der durch Volksabstimmung beschlossenen Änderung des Wahlgesetzes in Hamburg, dass auf 121 Abgeordnete zugeschnitten ist. Ich plädiere daher dafür, erstmal das neue Wahlgesetz mit seinen Änderungen (Wahlkreise, kumulieren und panaschieren etc.) zu erproben und zu sehen wie sich das Feierabendparlament unter den veränderten Bedingungen bewährt. Dann ist es an der Zeit, die Organistion des Parlaments einer kritischen Reflexion zu unterziehen.
mit freundlichen Grüßen
Claudius Lieven MdHB
Stadtentwicklungspolitischer Sprecher der GAL Bürgerschaftsfraktion