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Frage von Achim C. •

Frage an Christoph Strässer von Achim C. bezüglich Soziale Sicherung

Im Dritten Reich wurden Menschen wegen Zigarettendiebstahls zum Tod verurteilt. Eine berliner Kassiererin wurde vor kurzem wegen Pfandbonunterschlagung im Wert von 1,30 Euro zur fristlosen Entlassung und damit zum Verlust ihrer beruflichen Existenz verurteilt. Den ersten Fall empfindet wohl jeder rechtlich denkende Mensch als Unrecht, der letztere entspricht geltendem Recht.

Mich interessiert, ob Sie die Empörung über die Unverhältnismäßigkeit des berliner Urteils teilen und ob es in Ihrer Partei Bestrebungen gibt, durch Änderung der rechtlichen Grundlagen solche Urteile in Zukunft zu verhindern.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Clausing,

ich bin der Meinung, dass man zwischen dem Verhalten des Arbeitgebers und dem Urteil des Gerichts unterscheiden muss. Ich kann im Einzelfall nicht beurteilen, ob die Pfandbons unterschlagen wurden. Diese Beweisführung obliegt dem Gericht. Es entspricht auch einer gefestigten Rechtssprechung, dass durch die Verwirklichung des Straftatbestandes der Unterschlagung das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zerrüttet sein kann. Das Instrument der so genannten „Verdachtskündigung“ ist seit Jahrzehnten Bestandteil arbeitsrechtlichen Praxis und Stand nie zur Disposition.
Es entspricht auch der Rechtssprechung, dass im Straf- und Zivilprozess eine unterschiedliche Beweisführung gilt. Während im Strafprozess die Unschuldsvermutung zu Grunde gelegt wird, kann im Zivil- und Arbeitsgerichtsprozess auch der begründete Verdacht einer Straftat ausreichen, wenn dieser das Vertrauensverhältnis belastet. Grundsätzlich hat sich die Rechtsprechung aus unterschiedlichen Gründen bewährt. Fragwürdig ist eher das Verhalten des Arbeitgebers, einer Mitarbeiterin nach mehr als 30jähriger Beschäftigung fristlos zu kündigen, wenn in der Vergangenheit keine Beanstandungen vorlagen. Das halte ich für unverhältnismäßig. Man kann nur mutmaßen, ob der Vorwurf der Unterschlagung als Vorwand genutzt wurde, sich von einer unbequemen Mitarbeiterin zu trennen, die sich aktiv an den langwierigen Streiks im Einzelhandel in den vergangenen Jahren beteiligt hat. Sollte dies der Fall gewesen sein, halte ich dies für höchst unanständig und verwerflich. Da ich allerdings die näheren Umstände nicht kenne, muss ich mich einer weitergehenden Beurteilung enthalten. Meine Empörung gilt deshalb nicht dem Urteil sondern dem Verhalten des Arbeitgebers.

Mit freundlichen Grüßen
Christoph Strässer