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Frage von Daniel H. •

Frage an Christoph Strässer von Daniel H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Strässer,

Zum Thema Vorratsdatenspeicherung zitiere ich hier einmal einen Teil der Erklärung, mit der Sie und einige andere SPD-Abgeordnete Ihre Zustimmung trotz heftiger Bedenken zu rechtfertigen versuchten:

"Eine Zustimmung ist auch deshalb vertretbar, weil davon auszugehen ist, dass in absehbarer Zeit eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts möglicherweise verfassungswidrige Bestandteile für unwirksam erklären wird."

Sie und Ihre Kollegen haben also ein (zumindest in Teilen) "möglicherweise verfassungswidriges" Gesetz abgenickt und hoffen nun darauf, dass das BVerfG den Überwachungsstaat verhindert und so Schlimmeres verhindert.

Wäre es also nicht nur konsequent von Ihnen, die geplante Sammel-Verfassungsbeschwerde gegen Vorratsdatenspeicherung zu unterstützen? Das entsprechende Formular ist hier zu finden:

http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/sammelklage.pdf

Mit freundlichen Grüßen

Daniel Herding

P. S.: Diese Frage ging in ähnlicher Form auch an Frau Andrea Nahles.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Herding,

ich danke Ihnen für Ihre Zuschrift zu meinem Abstimmungsverhalten und der damit verbundenen Abgabe einer persönlichen Erklärung, die Sie teilweise zitieren.

Gestatten Sie mir zunächst, auch für alle Leserinnen und Leser dieser Seite den Hinweis, dass Sie nur einen ganz geringen Teil meiner Erklärung wiedergeben und hierdurch möglicherweise ein Eindruck erweckt wird, der mit der Motivation meines Verhaltens nichts zu tun hat.
Deshalb möchte ich auch zumindest den ersten Satz meiner Erklärung zitieren: „Trotz schwerwiegender politischer und verfassungsrechtlicher Bedenken werden wir im Ergebnis dem Gesetz aus folgenden Erwägungen zustimmen….“

Aus diesen Erwägungen mögen Sie entnehmen, dass ich bei einer Abwägung gerade nicht zu dem Ergebnis gekommen bin, dass die verabschiedeten Bereich der Telekommunikationsüberwachung bzw. der Datenvorratsspeicherung verfassungswidrig sind. Das Äußern von Bedenken ist doch etwas anderes als die Überzeugung, dass etwas tatsächlich so ist. Es geht hier um einen Abwägungsprozess, den einem niemand in der Entscheidungssituation abnehmen kann und den ich für mich immer sehr sorgfältig durchführe. Denn es gibt nicht nur, wie einem in manchen Debatten schnell suggeriert wird, ein Schwarz oder Weiß, es gibt auch sehr viele Grauzonen, in denen Entscheidungen oftmals schwieriger sind, als das nach außen erscheint.

Lassen Sie mich das deshalb auch in der Sache kurz darstellen. Es gibt, ich hoffe, da stimmen wir überein, bei fast allen Maßnahmen, die die „Innere Sicherheit“ betreffen, Konflikte zwischen dem Sicherheitsbedürfnis einer Gesellschaft und der Grundrechtsordnung unserer Verfassung. Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung greifen ein in den Schutzbereich des Art. 10 Grundgesetz; Maßnahmen, durch die Journalisten verpflichtet werden, Informanten preiszugeben, greifen ein in den Schutzbereich des Art. 5 Grundgesetz; die Speicherung von Verbindungsdaten ohne Kenntnis der Beteiligten tangiert den vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung entwickelten Schutzbereich der informationellen Selbstbestimmung, daran gibt es für mich keinen Zweifel. Allerdings ist genauso zweifelsfrei, dass diese Grundrechtsnormen nicht uneingeschränkt gelten – der Verfassungsgeber selbst hat sie unter den so genannten
Gesetzesvorbehalt gestellt. Das bedeutet, dass der Gesetzgeber vom Ansatz her berechtigt ist, durch einfaches Gesetz den Wirkungsbereich auch solcher Grundrechte zu beschränken, wie sich z.B. aus Art. 5 Abs. 2 oder Art. 10 Abs. 2 GG ergibt.

Das heißt noch einmal im Klartext, dass nicht per se Gesetze, die in die grundsätzlich geschützten Bereiche eingreifen, verfassungswidrig sind. So ist z.B. schon in den 60- Jahren das sog. G-10 Gesetz erlassen worden, mit dem zum ersten Mal Einschränkungen des Brief- Post- und Fernmeldegeheimnisses normiert wurden – im Wesentlichen unbeanstandet durch das Bundesverfassungsgericht.

Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass solche Eingriffe in den geschützten Bereich einschränkungslos zulässig sind, im Gegenteil. Das Verfassungsgericht hat hier in ständiger Rechtsprechung klare Grundsätze entwickelt. Diese sagen, grob auf einen Nenner gebracht, dass zum einen der Kernbereich des Grundrechtsschutzes nicht angetastet werden und der Eingriff nie unverhältnismäßig sein darf. Weiter muss das eingesetzte Mittel auch überhaupt dazu geeignet sein, den definierten Zweck zu erreichen. Das Gericht hat in den letzten Jahren so manche Entscheidung verkündet, wo es den Gesetzgeber eindeutig darauf hingewiesen hat, dass diese Schranken nicht eingehalten wurden: beim so genannten Lauschangriff, beim berühmten Volkszählungsurteil oder beim Luftsicherheitsgesetz sind die entsprechenden Gesetze für verfassungswidrig erklärt und aufgehoben worden. Ein vom nordrhein-westfälischen Landtag kürzlich verabschiedetes Gesetz zur so genannten Online-Durchsuchung liegt gegenwärtig in Karlsruhe zur Überprüfung vor.
Angesichts dieser Konfliktlage sollte es für jeden Abgeordneten selbstverständlich sein, für sich zu überprüfen, ob die erforderliche Abwägung zu dem Ergebnis führt, dass nach der eigenen Überzeugung das entsprechende Vorhaben mit der Verfassung im Einklang steht oder nicht. Für mich habe ich sehr klar definiert, dass ich Entscheidungen nicht mittrage, wenn ich von der Verfassungswidrigkeit überzeugt bin, das gebietet mir mein Gewissen und mein Respekt vor unserer Verfassung. Dies habe ich auch schon dadurch zum Ausdruck gebracht, dass ich bei ca. ¼ der namentlichen Abstimmungen in diesem Jahr aus eben diesen Gründen gegen die Mehrheitsentscheidung meiner Fraktion gestimmt habe, z.B. im März bei der Entscheidung über die Entsendung von Tornado-Aufklärungsflugzeugen nach Afghanistan. So werde ich es auch in Zukunft halten.

Voraussetzung dafür ist allerdings, dass ich in Person davon überzeugt bin, dass ein Vorhaben verfassungswidrig ist. Bedenken und Zweifel, wie ich sie im vorliegenden Fall geäußert habe und wie ich sie auch weiterhin habe, reichen dafür nicht aus. Sie mögen, wie viele andere in diesem Land und auch im Parlament der Auffassung sein, dass diese Entscheidung politisch falsch ist. Das respektiere ich und dafür stehe ich in der politischen Verantwortung. Durch meine persönliche Erklärung habe ich versucht, diesen schwierigen Entscheidungsprozess deutlich zu machen und bin auch gerne bereit, in der Sache Ihnen meine Entscheidung darzulegen. Die Grundzüge habe ich in der persönlichen Erklärung zitiert.

Ich werde auch weiterhin, z.B. bei der heutigen Parlamentsentscheidung über die Verlängerung des OEF-Mandats diese Haltung zum Ausdruck bringen und gegen die überwiegende Mehrheit meiner Fraktion die Mandatsverlängerung ablehnen.

Ich wünsche mir sehr, dass über derartig streitige Themen in der Sache heftig debattiert wird, allerdings auch mit dem nötigen Respekt vor der Meinung des anderen. Der Vorwurf einer Manipulation der Verfassung allerdings ist aus meiner Sicht hierzu ungeeignet, für mich und meine Entscheidung nehme ich ihn auch nicht an und stelle mich gerne der weiteren Sachdebatte.

Mit freundlichem Gruß aus Berlin
Christoph Strässer